Ghost
sein. »Jetzt bin ich es, der überrascht ist. Was sagt er über mich?«
»Er zitiert Sie, am Anfang des letzten Kapitels.« Ich zog die entsprechende Seite aus der Tasche. »›Solange diese Nationen‹ – alle, die Englisch sprechen – ›zusammenstehen, ist die Freiheit gesichert. Wann immer sie gewankt haben, hat die Tyrannei an Kraft gewonnen.‹ Und dann sagt Lang: ›Ich stimme dieser Einschätzung völlig zu.‹«
»Tja, das finde ich sehr anständig von ihm«, sagte Emmett. »Meiner Meinung nach hat er während seiner Amtszeit als Premierminister sehr gute Instinkte bewiesen. Aber das heißt nicht, dass ich ihn kenne.«
»Und das da?«, sagte ich und deutete auf die Ego-Wand.
»Ach, das.« Emmett winkte geringschätzig ab. »Das Bild wurde bei einem Empfang im Claridge’s aufgenommen, anlässlich des zehnjährigen Bestehens der Arcadia Institution.«
»Ich habe leider noch nie ...«
»Davon gehört? Wie auch? Das früher von mir geleitete Institut ist sehr klein. Sehr exklusiv. Der Premierminister hat uns mit seiner Anwesenheit beehrt. Das war rein geschäftlich.«
»Aber Sie haben Adam Lang auch schon in Cambridge gekannt, oder nicht?«, hakte ich nach.
»Nicht richtig. In einem Sommersemester haben sich unsere Wege mal gekreuzt. Das war’s dann auch schon.«
»Woran können Sie sich denn noch erinnern?« Ich zückte mein Notizbuch, das Emmett beäugte, als hätte ich einen Revolver gezogen. »Entschuldigung«, sagte ich. »Darf ich?«
»Klar, machen Sie nur. Ich bin nur etwas überrascht, das ist alles. In all den Jahren hat mich nie irgendwer auf diese Cambridge-Verbindung angesprochen. Ich glaube nicht, dass ich Ihnen irgendetwas erzählen kann, das sich festzuhalten lohnt.«
»Aber Sie beide sind doch zusammen aufgetreten, oder?«
»In einer einzigen Produktion. Der Sommerrevue. Ich kann mich nicht einmal dran erinnern, welchen Titel sie hatte. Daran waren hundert Leute beteiligt.«
»Dann hat Lang also keinen Eindruck bei Ihnen hinterlassen?«
»Nicht den geringsten.«
»Obwohl er dann später Premierminister geworden ist?«
»Natürlich, wenn ich das damals gewusst hätte, dann hätte ich mir bestimmt die Mühe gemacht, ihn etwas besser kennenzulernen. Aber ich habe in meinem Leben acht Präsidenten, vier Päpste und fünf britische Premierminister getroffen, und keinen von ihnen würde ich als wirklich herausragende Persönlichkeit beschreiben.«
Genau, dachte ich, und wahrscheinlich ist Ihnen auch nie in den Sinn gekommen, dass die alle vielleicht das Gleiche über Sie gedacht haben. Aber das sagte ich nicht. Stattdessen fragte ich: »Darf ich Ihnen noch etwas anderes zeigen?«
»Wenn Sie glauben, dass es von Bedeutung ist.« Er schaute demonstrativ auf seine Armbanduhr.
Ich zog die anderen Fotos aus dem Umschlag. Als ich sie jetzt wieder durchging, fiel mir auf, dass Emmett gleich auf mehreren abgebildet war. Er war ohne jeden Zweifel der Mann, der bei dem Sommerpicknick hinter Lang die Daumen in die Höhe reckte, während sich der zukünftige, mit Joint und Champagnerflasche posierende Premierminister mit Erdbeeren füttern ließ.
Ich gab die Fotos Emmett, der wieder seine kleine affektierte Theaternummer aufführte: Brille nach oben schieben, um die Bilder mit bloßem Auge inspizieren zu können. Ich sehe ihn noch vor mir: geschmeidig, rosig, gelassen. Er zuckte nicht mit der Wimper, was mir komisch vorkam, an seiner Stelle wäre ich nämlich sehr wohl überrascht gewesen.
»Oho!«, sagte er. »Täusche ich mich, oder sehe ich richtig? Hoffentlich hat er nicht inhaliert.«
»Aber das sind Sie, der da hinter ihm steht, oder?«
»Sieht so aus. Und es sieht ebenfalls so aus, als wäre ich gerade im Begriff, ihm eine ernsthafte Warnung über die Gefahren des Drogenmissbrauchs zukommen zu lassen. Schauen Sie sich meine Lippen an, man spürt es förmlich.« Er gab mir die Fotos zurück und schob die Brille wieder auf die Nase. Er lehnte sich noch ein Stück weiter zurück und musterte mich gründlich. »Will Mr Lang diese Fotografien wirklich in seiner Autobiografie veröffentlicht sehen? Falls ja, dann würde ich es vorziehen, nicht namentlich erwähnt zu werden. Meine Kinder würden sich gedemütigt fühlen. Sie sind viel puritanischer, als wir das damals waren.«
»Was ist mit den anderen Leuten auf dem Foto? Können Sie mir sagen, wie die heißen? Die Mädchen vielleicht?«
»Tut mir leid. Von jenem Sommer habe ich nur noch eine sehr verschwommene Vorstellung.
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