Gib mir deine Seele
geschützt von einem hohen schmiedeeisernen Zaun, daneben standen Tische und Stühle aufgereiht vor einem Hotel. Zusammen gab es der Häuserzeile etwas Heiteres, das, wenn man in die andere Richtung sah, in die sich Constantin gewandt hatte, vollkommen fehlte.
»Eine Spur düster sind diese Straßen schon«, sagte Pauline. Bei ihrer Ankunft hatte der Chauffeur nicht bis vor die Haustür fahren können. Auch die Querstraße, auf der er gehalten hatte, war kaum breiter als diese hier.
Doch schon wenige Schritte später passierten sie die geradezu poetisch anmutende Carrer de Sant Sever, und Constantin erzählte ihr von dem Namensgeber der Gasse. Es war ein Bischof, der in Barcelona gelebt hatte. Nach der Überlieferung hatten ihn Soldaten ermordet, die ihn zuerst mit einer neunschwänzigen Katze gequält und ihm anschließend Nägel in den Kopf geschlagen hatten. Später war er sowohl von der katholischen als auch von der orthodoxen Kirche heiliggesprochen worden.
Pauline war sich nicht ganz sicher, was diese Katze sein sollte, und fragte nach.
»Erinnerst du dich an den Flogger, den du in Paris gesehen hast?«
Wie konnte sie den vergessen? Das Bild von der damit geschlagenen Frau hatte sich für immer in ihr Gedächtnis eingebrannt.
»So ähnlich«, fuhr er fort, »sieht die Katze aus. Die Glattlederbänder sind geflochten, das macht sie sehr hart und schmerzhaft.«
»Schmerzhaft genug, um jemanden totzuschlagen?«
»Möglich, aber nicht beabsichtigt. In der Seefahrt waren diese Katzen beliebt, und angeblich auch in der Erziehung von Ehefrauen.« Dabei bedachte er sie mit einem Blick, als überlege er, ob sich dieses Folterinstrument nicht auch zur Bestrafung widerspenstiger Sängerinnen eignete.
Nervös sah sie beiseite.
Constantin legte ihr den Arm um die Schultern, und als wäre nichts gewesen, erzählte er weiter über das Stadtviertel: »Barcelona hieß früher Barcino und war eine römische Siedlung. Die meisten erhaltenen Baudenkmäler stammen aber aus dem vierzehnten und fünfzehnten Jahrhundert. In den neunzehnhundertzwanziger Jahren wurde der gesamte Stadtteil saniert.«
Als sie um die nächste Ecke bogen, öffnete ein breiter Platz vor ihnen den Blick auf eine gotische Kathedrale. Auf den Stufen davor saßen Touristen und Einheimische bunt gemischt, Kinder liefen herum.
»Das ist Santa Eulalia.« Constantin wirkte seltsam in sich gekehrt, während er erklärte, dass sie sich auf heiligem Boden bewegten. »An dieser Stelle befanden sich vorher bereits ein römischer Tempel und später eine romanische Kirche. Die Kathedrale ist auch im Inneren bemerkenswert. Möchtest du sie dir ansehen?«
Für eine Weile schlossen sie sich einer französischsprachigen Führung an, bis sie die dicken, weißen und beständig schnatternden Gänse im gotischen Kreuzgang entdeckten. Pauline war so begeistert, dass sie gar nicht bemerkte, wie die Gruppe weiterzog. Zu zweit wanderten sie noch eine Weile durch die Kirche, bis sie Constantin bat, einen Augenblick zu warten.
Die Votivkerzen hatten es ihr angetan, also kaufte sie eine und zündete sie vor einem der kleinen Seitenaltäre an. Für euch. Mama, Tante Jillian. Die Flamme flackerte, als wollte sie ihr ein geheimes Signal geben. Wo auch immer ihr seid, wenn ihr könnt, helft mir bitte, das Richtige zu tun.
Mit diesem lautlosen Wunsch kehrte sie zu Constantin zurück, der sie schweigend aus der Kathedrale begleitete.
»Bist du katholisch?«, fragte er erstaunt.
»Nein, nicht einmal besonders religiös. Aber dieser Ort besitzt eine eigentümliche Magie, der auch ich mich nicht entziehen kann …« Sie sah ihn von der Seite an. »Und du? Bist du Katholik?« Für eine Britin war der Katholizismus keine typische Glaubensrichtung, in Frankreich dagegen war er weit verbreitet, wenn auch überwiegend nicht so intensiv gelebt wie hier in Spanien.
»Ich war es. Früher.« Er blickte in die Ferne, als fänden sich dort weitere Antworten.
»Dann glaubst du an keinen Gott mehr?«
War er unter dieser Frage zusammengezuckt? Für einen winzigen Augenblick glaubte sie, einen schmerzlichen Ausdruck in seinen Augen zu erkennen. »Wenn es dir unangenehm ist, darüber zu sprechen …«
»Nein, keineswegs. Ich glaube nicht – ich weiß, dass es sie gibt. Doch die Götter sind anders, als die Menschen sie sich vorstellen. Ganz gleich, ob sie an den Einen, an die Dreifaltigkeit oder an einen ganzen Pantheon glauben. Die Wahrheit ist furchtbar.« Endlich sah er sie an, und der
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