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Gib mir deine Seele

Gib mir deine Seele

Titel: Gib mir deine Seele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeanine Krock
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selbst dürfe diesen Anblick jemals genießen. Ihm sollte sie gehören! Eine verlockende Vision. Archaisch und … vollkommen inakzeptabel.
    Die Aufklärung war ein unverzichtbarer Bestandteil des heutigen Lebens, und sie konnte nicht hoch genug eingeschätzt werden. Leider hatten ihre freiheitlichen Ideale unter dem bequemen Banner des Gelten- und Gewährenlassens so viel Brillanz verloren, dass sie unterzugehen drohten. Aber nicht bei ihm. Niemals. Er schätze selbstbewusste, freie Menschen, Männer wie Frauen. Für ihn war das kein Widerspruch zu seinen privaten Vorlieben.
    Er schob seine dunklen Gedanken beiseite, stieg leise, um Pauline nicht zu wecken, aus dem Bett, und bereitete sich auf den Tag vor.
    Für den Aufenthalt in der Provinz hatte er ein paar Sachen zusammengepackt. Nicht aber für einen Todesfall. Damit hatte selbst er nicht ernsthaft gerechnet. Der anthrazitfarbene Anzug vom Vortag wäre ausreichend, trotzdem schien er ihm nun unangemessen. Zuletzt entschied er sich für dunkle Jeans, T-Shirt, ein Hemd mit Strickweste. Wahrscheinlich immer noch zu städtisch für die Gegend, aber akzeptabel für den traurigen Anlass, ohne zu sehr danach auszusehen, als fände die Beerdigung schon heute statt. Beim Anblick seines Spiegelbilds zuckte Constantin mit den Schultern. Mehr war nicht zu machen. Als er sich umdrehte, sah er direkt in Paulines Augen.
    »Guten Morgen«, erwiderte er ihren scheuen Gruß. »In einer Dreiviertelstunde erwartet uns Marguerite zum Frühstück. Wie lange ist man zu ihr unterwegs?«
    »Fünfzehn Minuten etwa. Ich beeile mich.« Damit stürzte sie aus dem Zimmer, als hätte sie ein schlechtes Gewissen, überhaupt hier gewesen zu sein.
    Lächelnd sah er ihr nach. Sich mit alltäglichen Problemen zu befassen ließ seiner Erfahrung nach weniger Raum für Trauer. Und wenn er irgendetwas im Allgemeinen schwer ertragen konnte, dann waren es Tränen – Paulines Tränen im Besonderen.
    Nach dem Regen der letzten Nacht hatte die Sonne nun auch gegen den Morgennebel gesiegt, und so hatte Constantin entschieden, vor dem Gasthaus auf Pauline zu warten. Als sie mit gesenktem Kopf aus der offenen Eingangstür trat, sah er ihr entgegen.
    Ihre abgewetzte Jeans, deren Zustand viel mehr mit den Tragegewohnheiten der Besitzerin als mit aktuellen Modetrends zu tun hatte, Boots, ein weiter, schwarzer Pullover und die anscheinend allgegenwärtige Lederjacke, gekrönt von einem übergroßen Tartanschal – Pauline sah nicht die Spur nach Trauer aus … bis man ihr ins Gesicht blickte.
    »Alles ist gut«, beantwortete sie seine unausgesprochene Frage. »Wir sollen noch Brot kaufen.«
    Er ließ sich von ihr zu dem kleinen Geschäft führen. Im Ortskern schien die Zeit stehengeblieben zu sein. Eine Idylle, die im krassen Gegensatz zum Anlass ihres Aufenthalts stand.
    Im Laden kannte man Pauline. Die meisten Kunden und natürlich die Inhaberin wussten auch schon, was passiert war. Bevor Pauline jedoch erneut zu weinen begann, nahm Constantin die Sache in die Hand, zahlte und schob sie schnell aus dem Laden hinaus. Sollten die Leute ihn doch für ein Arschloch halten.
    Draußen sah er sie an und fragte mit gespielter Munterkeit: »Und nun?«
    Offensichtlich dankbar ging Pauline drauf ein. »Lust auf einen kleinen Spaziergang, oder sollen wir deinen Chauffeur rufen?«
    »Spaziergang«, sagte er, auch wenn diese Frage schon längst beantwortet gewesen war.
    Wie erwartet, tat ihnen die kühle Luft gut. Als sie den Dorfrand erreichten, lösten sich gerade die letzten Spuren des Nebels auf, der flach über den abgeernteten Feldern gelegen hatte. Ein außergewöhnlich schöner Wintertag kündigte sich an. Wo keine Steinmauern und alte Eichen Schatten warfen, hatte die Sonne den Asphalt der schmalen, stetig bergauf führenden Straße bereits getrocknet. Kurz bevor sie das Cottage erreichten, das am Waldrand lag, blieb Constantin stehen und drehte sich um.
    Unter ihnen in der Talsenke lag das kleine Dorf eingekuschelt wie in einem Nest aus Strauchwerk und Gärten. Selbst zu dieser Jahreszeit und in den blassen Farben der Winterlandschaft glich es von hier oben dem bezaubernden Postkartenmotiv britisch ländlicher Lebensart. Wie trügerisch solch eine Idylle sein kann , dachte er und legte den Arm um Paulines Schulter. Gemeinsam gingen sie die letzten Meter bis zum Haus.
    Als Erstes trafen sie auf Nicholas, der mit einem Stapel gehackter Holzscheite um die Hausecke kam und ihnen stumm zunickte. Henry stand in der

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