Gib mir deine Seele
mich so schnell zu Tante Jillian gebracht hat.« Die Erinnerung ließ einen Kloß in ihrem Hals anwachsen.
»Pauline, ich finde dich sympathisch. Deshalb möchte ich dir den guten Rat geben, immer mit offenen Karten zu spielen.«
»Wie meinst du das?«
Er lachte verlegen. »Im Grunde sind wir Männer ziemlich schlicht gestrickt. Es fällt uns schwer, jemandem zu vertrauen. Wenn wir es aber irgendwann tun, sind wir wie treue Hunde. Hunde allerdings, die sehr unangenehm werden können, wenn sie sich getäuscht fühlen.«
Sie hob den Kopf und sah Nicholas an, der leicht rot geworden war. Will er seinen Chef vor einer Enttäuschung bewahren? , fragte sie sich. Das wäre sehr nobel von ihm, aber überflüssig. »Wenn du damit Constantin meinst, dann kann ich dir versichern, dass ich nicht vorhabe, ihn zu täuschen. Ich kenne ihn ja kaum.« Sie wischte sich mit einer Hand übers Gesicht und seufzte. »Manchmal ist er so streng und kalt, dann wieder total einfühlsam …« Gerade noch rechtzeitig erinnerte sie sich, dass sie mit einem Mitarbeiter von Constantin sprach, nicht mit einem Freund.
Beinahe hätte sie ihm ihr Herz ausgeschüttet.
Auch Nicholas schien sich dessen bewusst geworden zu sein und räusperte sich verlegen. »Sag ihm bitte nichts von diesem Gespräch. Er bringt mich um, wenn er davon erfährt.«
»Ganz so schlimm wird’s schon nicht werden«, scherzte sie. Nicholas sah sie an, als wollte er antworten: Hast du eine Ahnung. Stattdessen sagte er: »Die Corliss kommt in einer halben Stunde, bis dahin kannst du dich einsingen. Ich bin im Arbeitszimmer, falls du etwas brauchst.«
»In Ordnung … und Nicholas?«
»Ja?«
»Danke.«
Er zwinkerte ihr zu. »Ich glaube, wir werden noch viel Zeit miteinander verbringen. Da ist es besser, du weißt von Anfang an, wie der Hase läuft.«
Die Unterrichtsstunde fing erst einmal mit einer Standpauke an. »Tränen ruinieren die Stimme. Es ist sehr traurig, einen geliebten Menschen zu verlieren, aber du wirst ab sofort nicht mehr weinen, hörst du!«
»Jawohl.« Pauline hatte inzwischen gelernt, dass es ein Fehler wäre, Elena Corliss zu widersprechen. Also sang sie und war am Ende heilfroh, nicht allzu streng kritisiert worden zu sein.
»Siehst du, wenn du singst, bist du in deinem Element und fühlst dich gleich viel besser, stimmt’s?«
Tatsächlich hatte Pauline für kurze Zeit ihren Kummer vergessen. Vielleicht war das nicht in Ordnung, aber Marguerite hatte recht. Jillian hätte gewollt, dass sie ihre Studien nicht unterbrach.
Elena hatte noch etwas zu sagen. »Weil du heute tapfer warst, hast du dir eine kleine Belohnung verdient. Deine Bewerbung zum Internationalen Wettbewerb der Jungen Stimmen wurde über die Nachrückliste angenommen.«
»Aber ich habe mich doch gar nicht …«
»Natürlich nicht. Aber ich.« Sie sah äußerst zufrieden mit sich aus, während Pauline den Mund nicht mehr zubekam. »Alle Details erfährst du von deiner Agentur. Wir sehen uns wieder, sobald ich weiß, was du vorbereiten musst. Bis dahin übst du fleißig und bleibst gesund.«
Damit rauschte sie hinaus und überließ es Pauline, hinter ihr die Tür zu schließen.
»Das war ein Abgang.« Nicholas steckte den Kopf durch die Tür und lächelte ihr zu. »Ich bin gleich fertig.«
Während sie auf ihn wartete und sich langsam ihren Schal um den Hals schlang, dachte Pauline darüber nach, dass Henry mit diesem netten Mann doch einen ziemlich guten Fang gemacht hatte. In Constantins Gegenwart mochte man Nicholas für recht förmlich halten, vorhin jedoch hatte er beinahe wie ein Freund, ganz bestimmt aber wie ein loyaler Mitarbeiter geklungen, dem etwas an Constantins Wohl lag. Privat schien er zudem entspannt und humorvoll zu sein. Fraglos trug sein Äußeres zu diesem Eindruck bei, das ihn selbst im Anzug lässig wirken ließ. Witzig fand sie, dass sich ausgerechnet der Mann mit den blonden Haaren in die ebenfalls blonde Henry verliebt hatte, während Constantin und sie dunkelhaarig waren.
Gegensätze ziehen sich eben doch nicht immer an , dachte sie. Wobei sie und Constantin sich genauer betrachtet vom Typ her erheblich unterschieden: Ihre Haare und die helle Haut hatte sie nachweislich von der irischen Großmutter geerbt. Er hingegen besaß einen dunklen Teint, was in der Kombination mit den blauen Augen besonders reizvoll wirkte – aber beileibe nicht alles war, was sie an ihm faszinierte.
Wie erwartet erwies sich die Beerdigung als eine weitere Belastungsprobe
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