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Gib's mir

Gib's mir

Titel: Gib's mir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristina Lloyd
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getroffen hatten. Oh, natürlich waren wir mal für eine Weile getrennt, manchmal sogar für ein paar Monate, aber dann war es immer so gewesen, dass gerade irgendetwas anderes bei einem von uns los gewesen und wichtig war. Wir haben niemals wirklich beschlossen, uns nicht zu sehen. Sogar in der desolaten Endphase unserer Liebesbeziehung war es immer noch so, dass wir in Gesellschaft anderer ganz gut miteinander umgehen konnten. Und in Brighton war es eigentlich sowieso unmöglich, einander nicht ständig irgendwo zu begegnen.
    «Schwierig», erwiderte ich. «Immerhin ziehen wir meistens mit denselben Leuten los oder mit anderen Leuten, aber in dieselben Kneipen.»
    «Hhmmm», antwortete er ruhig. «Aber vielleicht sollten wir einander einfach ein bisschen aus dem Weg gehen. Es könnte sein, ich … fahre mal für eine Weile zu meinem Bruder, für zwei Wochen oder so.»
    «Oh», sagte ich. Martin war noch nie für längere Zeit bei seinem Bruder gewesen. Es schien ihm ziemlich ernst zu sein.
    «Nur …», meinte er und starrte mich mit schmerzverzogenem Gesicht an. «Es tut so beschissen weh, Beth. Es tut verdammt weh, wenn ich dich sehe. Besonders wenn … so wie heute … du irgendwas vorschlägst … Du hast mir Hoffnung gemacht, Beth. Hoffnung. Da wäre mir Verzweiflung fast lieber. Bei Verzweiflung weiß man wenigstens, woran man ist.»
    Ich nickte und schämte mich. «Tut mir leid», flüsterte ich, und meine Augen brannten.
    Er zog seinen Rucksack hoch auf die Schulter. «Ich ruf dich an, wenn ich zurück bin», sagte er und machte auf dem Absatz kehrt.
    «Krieg ich kein Abschiedsküsschen?», fragte ich mit versagender Stimme.
    Oben an der Treppe drehte sich Martin noch einmal um und sah mich ein, zwei Momente lang an.
    «Nein», sagte er tapfer, dann stapfte er die Treppe hinunter und verschwand aus meinem Blick. Einen Augenblick später knarrte die schwere Eingangstür in den Angeln und schlug laut zu.

    Eine Stunde lang tat ich nichts anderes, als mich zu schämen.
    All der Kummer nur meinetwegen: Nur weil ich Idiotin gemeint hatte, dass Geilheit Grund genug ist, um zu ficken; ich Idiotin mit meinen idiotischen Phantasien über irgendeinen Typen von gegenüber, der mir neulich mal zufällig seinen Schwanz gezeigt hat; der rein zufällig meinen Namen und meine Telefonnummer kannte; der mich gefragt hat, woran ich beim Masturbieren denke; der gerade nach Hause gekommen war, nachdem er für etliche Tage weg war.
    Scheiße. In meinem Kopf drehte sich alles, aber die Nadel blieb immer wieder an derselben Stelle hängen. Gesichtsloser Mann. Gesichtsloser Mann. Ich wünschte, ich wäre in der Stimmung, einfach meine Gardinen zu öffnen und nachzusehen, ob und was sich in seinem Fenster bewegte. Aber mir war nicht nach Spielen zumute. Ich war zu traurig, zu ausgelaugt.
    Ich tigerte durch meine Wohnung, schaltete den Fernseher an und gleich wieder aus, blätterte in einem Buch, legte mich auf den Fußboden und starrte an die Decke; ich wünschte, Sex würde mir nicht so viel Spaß machen; wünschte, man könnte ihn irgendwo bekommen, ohne sich dabei gleich in irgendwelchen anderen Sachen zu verheddern. Eine Beziehung, in der Freundschaft und Sex unabhängig voneinander stattfinden – war das wirklich so unmöglich, wie es schien? Vielleicht könnte ich sonst jemanden dafür bezahlen, mit mir zu ficken. Oder vielleicht könnte ich auch als Hure arbeiten, eine ganz besondere Hure, die unter «Beths Bedingungen» arbeitet: Ich dürfte mir die Freier aussuchen.
    Ich rang mit mir, ob ich Martin anrufen sollte. Ich könnte vorschlagen, dass wir uns treffen und nochmal über alles reden sollten. Aber meine Gründe dafür, musste ich mir schließlich eingestehen, wären wiederum ziemlich egoistisch. Ich würde versuchen, ihn davon abzuhalten, zu seinem Bruder zu fahren, weil ich ihn dann vermissen würde. Ich, ich, ich. Ich entschied, ihn nicht anzurufen wäre die großherzigere, liebevollere Geste.
    Ich ging unter die Dusche und musste dabei an Lady Macbeth denken, die auch versucht hatte, ihre Missetat fortzuwaschen, dann aber doch verrückt geworden war, weil ihr Bewusstsein sich nicht reinwaschen ließ. Aber ich fühlte mich besser nach etwas Wasser – gereinigt vom Schweiß, wenn auch nicht von der Schuld. Ich zog mich an, ein neues Hemd, und stellte das Radio an. Stück für Stück distanzierte ich mich von den Ereignissen des Nachmittags.
    Und Stück für Stück näherte ich mich mit zuckenden Fingern den

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