Gib's mir
zurückverfallen, und das fühlte sich gut an. Zum Teufel mit der Frage, ob es zwischen uns überhaupt noch ein WIR gab; zum Teufel mit dem ganzen Analysieren.
Aber als das Glühen nachließ und die Flasche leer war, musste sich was bewegen.
«Also», setzte Martin an und spielte mit meinem Haar, «war das nun ein einmaliger Ausrutscher? Oder war es der Neubeginn für etwas Wunderschönes?» Er lächelte, zaghaft und hoffnungsvoll.
«Nein, das war nur dieses eine Mal», antwortete ich und hoffte, dass meine Stimme dabei weder zu schroff noch zu freundlich klang. «Ein sehr angenehmer und sehr dummer Ausrutscher.»
Martin nickte resigniert. «Verstehe», sagte er und verfiel dann in Schweigen.
Ich beobachtete, wie er mit dem Finger kreisend Muster in den hellgrauen Teppichboden zeichnete. Ich fühlte mich durch und durch mies und innerlich bleischwer. Aber ich hatte auch keine Lust, darüber zu reden. Ich war nicht in der Stimmung, jetzt ernsthaft zu werden und über etwas zu diskutieren, was sich ohnehin nicht ändern ließ. Das war sinnlos und führte zu nichts.
«Sei nicht sauer», sagte ich und nahm seine Hand in meine. «Du verdirbst damit den schönen Nachmittag.»
Sein Kopf fuhr mit einem ironischen Schnauben in die Höhe. «Ach, wirklich», sagte er und zog seine Hand zurück, als sei er von einer Viper gebissen worden. «Den Nachmittag. Da muss mir wohl der Sinn für die Größenordnungen abhandengekommen sein.»
Ich unterdrückte einen Fluch und ließ mich auf den Rücken rollen, von ihm weg. Ich schloss die Augen.
Schweigen breitete sich zwischen uns aus. Es gab nichts mehr zu sagen. Er kannte meine Position; ich wusste, was er fühlte. Aber ich hasse schlechte Stimmung und hatte den Eindruck, dass eine Entschuldigung vielleicht angebracht wäre. Also probierte ich es mit «Tut mir leid».
Ich hörte Kleingeld klimpern, als Martin nach seiner Hose griff. Ich blickte zu ihm auf und sah, wie er mit einem Ruck seine Gürtelschnalle schloss.
«Wofür?», sagte er ätzend, während sich sein Gesicht vor Wut und Verletzung verfinsterte. «Dafür, dass du mit deinen Ficks so großzügig bist?»
«Ja», erwiderte ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hindurch. «Du hast gesagt, du könntest damit umgehen, aber offenbar kannst du’s doch nicht. Also tut’s mir leid. Tut mir leid, dass ich ein unsensibles, selbstsüchtiges, leichtfertiges kleines Miststück bin.»
Martin zog sich sein Kapuzen-Sweatshirt über und setzte sich auf den Sessel, um sich die Turnschuhe zuzubinden. «Stur hast du noch vergessen», stellte er sachlich fest. «Und herzlos und skrupellos und gedankenlos vergnügungssüch–»
«Danke, danke, das genügt», unterbrach ich ihn, erleichtert, ein zaghaftes Lächeln um seine Lippen spielen zu sehen. «Ich hatte dich um Verzeihung gebeten, nicht darum, mich völlig fertigzumachen.» Ich angelte nach meinen Klamotten, da ich mich plötzlich neben ihm brutal nackt fühlte.
«Vergeben», erklärte er geradeheraus. «Es war sowieso nicht allein deine Schuld. Gehupft wie gesprungen.»
Wir warfen einander ein schräges Lächeln zu, nahmen jeder ein bisschen Schuld auf uns und verziehen auf der anderen Seite. Ich strich mein Hemdchen glatt.
Jetzt waren wir beide angezogen und berührten uns nicht mehr. Wir waren wieder im Niemandsland unserer merkwürdigen Freundschaft angelangt: keine Liebenden mehr, aber noch nicht wieder «nur gute Freunde». Das brachte uns dazu, jetzt vorsichtig miteinander zu sein.
«Möchtest du noch irgendwo ein Nachmittagsbier trinken gehen oder so?», schlug ich unsicher vor.
Martin schüttelte den Kopf. «Besser, ich geh dann mal», meinte er.
«Bist du sicher?», fragte ich, in der Hoffnung, er wäre es. Er war es. Und ich brachte ihn zur Wohnungstür, wo wir standen und nicht wussten, wie wir mit dem Thema «Wann werden wir uns wiedersehen?» locker und wie normale Menschen umgehen sollten.
«Gehst du am Freitag ins The Geese ?», wagte Martin sich vor.
«Weiß nicht», sagte ich. «Ist irgendwie nicht mehr ganz meine Gegend. Und du?»
«Weiß nicht.» Er zuckte mit den Schultern und scharrte mit der Fußspitze auf dem Teppich. «Vielleicht … Beth?»
Er sah mich an. Ich sah ihn an.
«Beth», setzte er erneut an. «Ich denke, wir sollten die Dinge ein bisschen abkühlen lassen. Weißt du, so, dass wir uns mal eine Weile nicht sehen.»
Das brachte mich aus der Fassung. Bei Martin und mir hatte es das noch nie gegeben, dass wir uns länger nicht
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