Gier (Ein Paul-Kalkbrenner-Thriller) (German Edition)
man dich gerufen?«
Kalkbrenner dachte an die verkohlten Körper im
Hermano.
An Miguel Dossantos. An die Russen-Mafia. Das war nichts, worüber er mit seiner Familie sprechen wollte. Er kraulte den Bernhardiner hinter seinen Ohren.
»Paul«, sagte Ellen, »du hast wieder diesen Ausdruck im Gesicht, schon gestern Abend, dieses Ich-kann-nicht-darüber-reden.«
Und du hast wieder diesen vorwurfsvollen Unterton in deiner Stimme, schon gestern Abend.
Aber er sagte nichts. Gegenseitige Vorhaltungen würden ihnen beiden den Neuanfang nicht leichter machen. Stattdessen fragte er: »Du weißt von dem Lehrermord?«
»Weshalb sie dich aus dem Urlaub geholt haben.«
»Es wird ziemlich stressig werden, weil ich mich jetzt alleine darum kümmern muss. Mein neuer Kollege ist einem neuen Fall zugeteilt worden.«
»Dieser Sache am Alex?«
»Du hast schon davon gehört?«
»Sie haben morgens im Radio darüber berichtet. Man sagt, es geht um Auseinandersetzungen im Rotlichtmilieu?«
»Ja, so sieht es aus.«
Ellen ging zum Kühlschrank. »Wie ist er eigentlich, dein neuer Kollege?«
»Nett.«
»Aber?«
»Er ist ein bisschen … Wie soll ich sagen? Kennst du diesen amerikanischen Fernsehkommissar, der im Trenchcoat durch die Gegend schusselt und dabei …«
»Du meinst Inspektor Columbo?«
»Genau den. So ist Berger.«
»Du solltest öfter Fernsehkrimis gucken.«
Er zuckte wenig überzeugt mit den Schultern. »Du weißt doch, die haben nur wenig mit dem wirklichen Leben zu tun. Sie reizen mich nicht. Fernsehen sowieso nicht. Die wenige Freizeit, die ich habe, sollte ich lieber anderweitig nutzen.« Er zwinkerte ihr versöhnlich zu. »Zum Beispiel in malerischen Datschen in der Uckermark.«
Ellen lächelte besänftigt und schenkte ihnen beiden Kaffee ein, danach setzte sie sich ihm gegenüber. Kalkbrenner belegte sich ein Brot mit Schinken, Tomaten und Sahnemeerrettich und biss genussvoll hinein. Ellen rührte Milch in den Kaffee. Während sie daran nippte, beobachtete sie ihn über den Tassenrand hinweg.
Kalkbrenner griff nach einer Scheibe Schinken und hielt sie Bernie vor die Schnauze. Im Nu war sie verschwunden. Er trank von seinem Kaffee und machte sich ein weiteres Brot mit Erdbeermarmelade. Durch die geöffnete Tür zum Garten drang ein Hahnenschrei aus der Nachbarschaft. Bernie reagierte mit seinem Dackelkläffen.
Kalkbrenner streichelte sein Fell, während Ellen nervös mit den Fingerspitzen an der Tischdecke herumzupfte.
»Kannst du dir eigentlich vorstellen, irgendwann mit deinem Beruf aufzuhören?« Die Frage klang schüchtern aus ihrem Mund, als habe sie Angst vor dem, was er erwidern würde.
Auch er scheute die Antwort, obwohl er sich schon mehr als einmal den Kopf darüber zerbrochen hatte. Das Einzige, was ihm dazu einfiel, war: »Ich weiß es nicht.«
Erneut wünschte er sich, sie würde nicht weiter darauf eingehen. Doch diesmal wurde sein Gebet nicht erhört. »So wie die letzten Jahre, Paul, so kann es mit uns nicht weitergehen, oder?«
»Ja, es muss sich etwas ändern.«
»Hat es das nicht schon? Sich etwas verändert?«
Der Polizeipräsident kam ihm in den Sinn, genau wie Dr. Salm, wie der erschossene Lehrer, seine bedauernswerte Witwe und der Anschlag auf das
Hermano.
Der war zwar Bergers Fall, aber gerade deshalb würde die Arbeit, die jetzt auf Kalkbrenner zukam, enorm sein. Nein, an seiner Arbeit hatte sich nichts geändert, auch nach fünf Wochen Urlaub nicht. Mit einem Mal wurde ihm klar, dass selbst nach zwei Monaten Ostsee nichts anders gewesen wäre. Eines seiner kleinen Helferlein sagte plötzlich:
Was nicht zu ändern ist, ist nicht zu ändern.
Sein Beruf war nun mal sein Beruf. Tod und Gewalt. Brutalität. Und so eigenartig ihm das manchmal selbst vorkam, es war schwer, davon loszulassen.
»Ellen«, bat er, »gib uns ein bisschen Zeit.«
»Das sind genau meine Worte.«
»Ich weiß.«
»Paul, was willst du mir damit sagen?«
»Dass auch ich Zeit brauche.«
»Wofür?«
Er atmete durch. »Ich muss einen Weg finden, wie ich meinen Job und meine Familie unter einen Hut bekomme.« Er wusste, dass es nicht das war, was sie sich erhofft hatte.
Kannst du dir vorstellen, irgendwann mit deinem Beruf aufzuhören?
Er wollte keine Antwort geben. Stattdessen sagte er nur: »Es ist nicht leicht.«
Es ist eine Herausforderung.
55
»Du bist noch da?« Karl-Edmund Hönigs Frau Martina betrat die Küche. »Ich dachte, die Koalitionsgespräche wären für heute Morgen angesetzt?«
»Um
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