Gift
wäre.
Melba, die Inhaberin der Bar, saß mit ihrem Hund Excalibur an
ihrem gewohnten Platz an dem großen runden Tisch am Eingang. Der Hund,
ein schwanzloser Airedale, dem auch noch ein Ohr fehlte, sprang freudig
auf und begrüßte den Reporter wie einen lange verschollenen Freund.
Samuel hatte sich längst damit abgefunden, dass ihn der kleine Kläffer
immer erst einmal unweigerlich ableckte, um dann hingebungsvoll an
seinen Schnürsenkeln zu knabbern.
»Du hast dich ja ewig nicht mehr blicken lassen«, begrüßte ihn
Melba.
»Ich war erst gestern Abend hier, nur dich konnte ich nirgends
entdecken. Blanche hat mir erzählt, sie mache sich deinetwegen
ernsthaft Sorgen. Sie meinte, es ginge dir gesundheitlich gar nicht
gut.«
»Ach was, hör bloß nicht auf so ein Geschwätz. Es geht mir
blendend …« Melba konnte den Satz nicht beenden, weil sie
heftig husten musste.
Samuel fand, dass sie nicht besonders gut aussah. Obwohl sie
bereits über fünfzig war, sprühte Melba normalerweise vor Energie.
Selbst der Umstand, dass sie rauchte wie ein Schlot und soff wie ein
Loch und sich hauptsächlich von hartgekochten Eiern und Oliven vom
Snackbuffet der Bar ernährte, schien ihr nichts anhaben zu können. Es
war an sich nicht ungewöhnlich, dass sie häufig hustete, aber jetzt
wurden ihre Hustenanfälle von einem hohen Pfeifen aus ihrer Brust
begleitet, und ihre verstopfte Nase deutete auf eine
Stirnhöhlenvereiterung hin. Ihr bläulich schimmerndes weißes Haar, das
sie sonst immer luftig auftoupiert trug, hing schlaff herunter. Als ihr
Hustenanfall endlich vorüber war, nahm sie erst einen tiefen Zug von
ihrer Zigarette und dann, um ihre strapazierte Kehle zu schmieren, ein
paar Schlucke Bier. Wenige Augenblicke später bekam sie den nächsten
Hustenanfall.
»Mein Gott, Melba, was ist denn mit dir los?«, fragte Samuel
besorgt und klopfte ihr auf den Rücken.
»Nichts, nur eine leichte Bronchitis, die ich irgendwie nicht
loskriege.« Sie griff nach ihrem Kamm, bei ihr ein seltenes Zeichen von
Eitelkeit.
»Aber dann solltest du auf keinen Fall rauchen«, redete ihr
Samuel ins Gewissen.
Melba musste gleichzeitig lachen und husten. »Du musst gerade
reden«, konterte sie.
»Wieso?«, fragte Samuel verständnislos.
»Du hast doch auch wieder zu rauchen angefangen.«
»Wie kommst du darauf?«, fragte er erstaunt.
»Wegen der Brandflecken in deinen Jackenärmeln«, sagte sie
lachend. »Wie in den alten Zeiten.«
Samuel errötete und legte die Hand auf die Falte am linken
Ellbogen seines Sportsakkos. »Na ja, aber wirklich nur ab und zu. Auf
jeden Fall qualme ich nicht mehr annähernd so viel wie früher.«
»Klar, das sagen alle.«
»Ich rauche nur noch, wenn ich nervös bin, so wie jetzt
gerade.« Und dann erzählte er ihr von dem Mord und was er bisher
herausgefunden hatte. »Was hältst du von der Sache, Melba?«
»Um dazu etwas sagen zu können, musste ich mehr darüber
wissen. Was steht denn im Ermittlungsbericht?«
»Ich warte gerade auf einen Anwalt, um mit ihm darüber zu
sprechen. Janak Marachak, du kennst ihn vielleicht.«
»Ja, den habe ich schon ab und zu in der Bar gesehen, aber
meistens bedient ihn Blanche. Ich habe sie gelegentlich miteinander
reden sehen. Ich glaube, sie sind befreundet. Was hat er mit der Sache
zu tun?«
Bei der Vorstellung, Blanche und Janak könnten sich in der
schummrigen Atmosphäre der Bar miteinander unterhalten, begann Samuel
unwillkürlich zu schwitzen. Was bin ich doch für ein Idiot, murmelte
er, was Melba jedoch zum Glück nicht hörte, weil sie schon wieder
husten musste.
»Janak vertritt in einem Zivilprozess ein paar Arbeiter, die
den ermordeten Besitzer der Mülldeponie verklagt haben.«
»Den Besitzer einer Mülldeponie?«
»Ja, einen reichen armenischen Geschäftsmann, dem die Deponie
für Chemieabfälle in Point Molate gehört.«
»Ein Müllkönig also.«
»Treffender Ausdruck. Was dagegen, wenn ich ihn in meinem
Artikel über den Mord einbaue?«
»Aber nein, tu dir keinen Zwang an, Samuel. Du weißt doch,
dass ich dir nichts abschlagen kann – außer meiner Tochter.«
Sie lachte.
Samuel ging nicht darauf ein. »Die Polizei interessiert sich
vor allem für die Untertanen des Müllkönigs. Sie haben sie im Verdacht,
ihn umgebracht zu haben.«
»Hört sich ganz nach der Französischen Revolution an.«
»Nur mit Strick statt Guillotine.«
»Wie auch immer, hol dir was zu trinken und rauch erst mal
eine.« Sie schob ihm eine Packung Lucky Strikes
Weitere Kostenlose Bücher