Giftspur
schnurgerader Strecke, ein vorhersehbares Verhalten. Der ganze Vorgang schien sich in Sekundenschnelle abzuspielen, während die eigenen Bewegungen und Reaktionen wie in Zeitlupe abliefen. Dreihundert Meter entfernt, zwischen den Baumstämmen, die das Bonifatiuskreuz säumten, zeichneten sich schemenhafte Bewegungen ab. Es konnte sich nur um den Erpresser handeln, also machten die Beamten eine entsprechende Meldung und warteten auf den Zugriffsbefehl. Dieser erfolgte stante pede, genau in dem Augenblick, als der Motor des Quads aufkreischte und die LED -Scheinwerfer aufflammten. Als der PS -starke Audi der Kriminalpolizei die Übergabestelle erreichte, raste das wendige Geländefahrzeug längst zwischen den Feldern entlang in Richtung Wald. Dort hatte sich schließlich die Spur verloren, daran konnten fünf Wagen, darunter auch der von Sabine und Ralph, nichts mehr ändern. Eine Viertelstunde später fand eine Streife das noch vor Hitze knackende Vehikel nahe einem Waldparkplatz. Zwei Stunden später erbrachte die sofort eingeleitete Umzingelung des Forstes das niederschmetternde Ergebnis, dass Paracelsus entwischt war.
»Ich will den Namen Paracelsus nicht mehr hören!« Speichel sammelte sich in Schultes Mundwinkeln und sprühte, während er wutentbrannt auf den Tisch hieb, in Richtung der vor ihm Stehenden. »Schlimm genug, dass die Bildzeitung ihn so nennt! Es ist ein Desaster.« Er vergrub den Kopf kopfschüttelnd zwischen den Handflächen und murmelte unverständlich vor sich hin.
»Was ist mit dem Kennzeichen?«, fragte Möbs in die Runde.
»Eine Dublette.«
»Wie bitte?«
»Das Kennzeichen ist eine Dublette«, wiederholte Mirco Weitzel und erklärte: »Es gehört zu einem Motorrad, welches in Heldenbergen gemeldet ist. So konnte Para… ähm, ich meine, der Erpresser, sichergehen, dass es einer Halterabfrage standhält. Zumindest einer oberflächlichen Überprüfung.«
Sabine überlegte kurz. Die Dubletten-Methode war nicht unüblich und hatte sich bereits in den Siebzigern in den Kreisen terroristischer Zellen erproben können. Im Zeitalter des Echtzeit-Datenabgleichs war sie eine der wenigen verbliebenen Möglichkeiten, mit einem Fahrzeug nicht aufzufallen. Kurzfristig zumindest, während gestohlene oder Phantasiekennzeichen sofort Alarm auslösten.
»Wie sieht es mit Hochsitzen, Kletterbäumen und Bauwagen aus?«, fragte Möbs weiter.
»Negativ«, gab ein Kollege, den Sabine nur vom Sehen kannte, zur Kenntnis. »Das Problem ist, dass zwei Waldstücke in Frage kommen. Beide eröffnen etliche Zugangsmöglichkeiten in Richtung bewohnter Gebiete. Karben, Büdesheim, und wir wissen noch immer nicht, nach wem wir überhaupt suchen.«
»Ich will nicht hören, was wir
nicht
wissen«, meldete sich Schulte wieder zu Wort. »Untersuchen Sie diese Klapperkiste auf DNA , tun Sie
irgendwas.
Fahnden wir jetzt nach einem Mann, der in Motorradkleidung herumläuft? Ansonsten: Finden Sie diese Kleidung!«
Ein brauchbarer Ansatz, dachte Sabine. Entweder jemand würde sich über einen Mann wundern, der in Motorradmontur und mit eleganter Ledertasche aus dem Wald gelaufen kam. Oder Paracelsus stieg auf einen anderen Untersatz um. Oder, und das würde sich erst am nächsten Tag zeigen, er hatte außer dem Helm keine Schutzkleidung getragen. Dann würde einer der bereits Befragten mit einer fetten Erkältung aufwarten. Doch all diese Gedankenspiele waren müßig, denn es musste
jetzt
etwas getan werden.
»Wir klappern alle Kandidaten noch einmal ab«, schlug sie daher vor. Observiert worden waren immerhin lediglich der Weidenhof, also Volz und die Finkes. Was es genau mit Elsass auf sich hatte, wusste sie noch immer nicht. Angersbach hatte zwar von einer Überwachung gesprochen, aber nur äußerst unpräzise, wie ihr aufgefallen war.
»Das übernehmen Sie«, antwortete Schulte. »Den Rest will ich wieder bei der Fahndung haben.«
Bevor Ralph mit Sabine die Polizeistation verließ, entschuldigte sich seine Kollegin für einen Augenblick.
»Zwei Minuten, lassen Sie Ihren Diesel schon mal warm laufen«, lächelte sie ihn friedfertig an, und Angersbach runzelte überrascht die Stirn.
Sie fährt freiwillig mit mir?
Hatte sie etwa vergessen, den Akku aufzuladen?
Doch als Sabine Kaufmann in den Lada stieg und sich weder über den ausgesessenen Beifahrersitz noch die verschmierten Scheiben echauffierte, wusste er, dass sich hinter ihrem Verhalten etwas anderes verbergen musste.
»Wir müssen reden«, sagte sie
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