Giftspur
Vera Finkes bereits erfolgt war. Sabine schluckte den Ärger darüber hinunter, übergangen worden zu sein, denn insgeheim war sie nicht unglücklich darüber. Man hatte die Frau zu Hause abgepasst, unter Garantie war das Procedere der Nachbarin, Frau Wischnewski, nicht entgangen. Fragende Blicke, abfällige Bemerkungen und inmitten des Geschehens Veras Ehemann. Rumpelstilzchen. Sabine war nicht böse darüber, nicht dabei gewesen zu sein, wenngleich das Vorgehen des Kriminaloberrats trotzdem nicht in Ordnung war. Wozu ein Morddezernat outsourcen, wenn man doch alles von der Zentrale in Friedberg steuerte? War es Taktik?
»Vernehmung im Laufe des Tages, Herr Finke kümmert sich um juristische Beratung.«
Mehr hatte Weitzel aktuell nicht dazu zu sagen, und Sabine bedankte sich und legte auf. Das nächste Telefonat führte sie mit einem Kollegen aus der Forensik, dessen Namen sie sich partout nicht merken konnte, auch wenn sie schon des Öfteren mit ihm zu tun gehabt hatte.
Schumacher,
sagte sie sich dreimal im Geiste vor,
so schwer kann das doch nicht sein.
In ihrem Lebenslauf und den Aufnahmegesprächen hatte sie stets bewusst darauf verzichtet, ihr eidetisches Gedächtnis zu erwähnen, welches man ihr nachsagte. Mit jenem Blick, der bestimmte Szenen wie Fotografien in ihrem Gedächtnis ablegte, hatte die Kommissarin schon so manches Detail in kniffligen Fällen in den Fokus der Ermittlung gezogen, aber zum einen war diese Fähigkeit nach wie vor ein wissenschaftlich umstrittenes Phänomen, und zum anderen konnte sie es nicht steuern. Viel zu oft stand sie im Supermarkt und konnte sich nicht an ihren Einkaufszettel erinnern – und dann dieser Schumacher. Sabine ertappte sich dabei, wie sie den Namen auf ihre Papierunterlage schrieb, in weicher Schreibschrift, danach verschnörkelte sie die Bögen.
»Wir haben den Mageninhalt Ihrer beiden Kandidaten genauestens überprüft«, leitete Schumacher ein, und sein resignierter Unterton bereitete ihr Unbehagen, »aber es ist uns nicht mehr möglich, das Gift einem bestimmten Lebensmittel zuzuordnen. Nicht wegen der Zersetzung oder der Menge, es hängt einzig und allein mit der Vermischung zusammen.«
»Mist, das ist ärgerlich. Was ist mit den Proben aus Köttings Wohnung?«
»Negativ auf Gifte. Der Salat ist unbedenklich, das Dressing auch.«
»Was ist mit der Milch?«
»Dazu komme ich als Nächstes. Die Milch aus dem Transporter ist einwandfrei, durch die niedrigen Außentemperaturen war sie nicht einmal sauer. Wir haben das gesamte Spektrum untersucht und nichts gefunden.«
»Hm. War die Probe denn ausreichend? Was, wenn die Giftkonzentration sich erst in größeren Mengen wirksam zeigt?«
»Guter Einwand, aber unsere Analysen hätten es trotzdem zutage gefördert«, wandte Schumacher ein. »Im Übrigen habe ich noch einen ganzen Eimer voll übrig, also mehr als genug.«
»Ich dachte, der Transporter sei leer gewesen«, hakte Sabine verwundert nach.
»Mag sein, aber bevor ein Tankwagen nach dem Transport komplett gereinigt wird, sammeln sich Reste. Es hieß doch, der Fahrer habe ihn einfach nur leerlaufen lassen, oder?«
»Ja, und wir haben keinen Schimmer, weshalb«, seufzte Sabine, »vor allem, da es teure Bio-Milch ist.«
»Bio-Milch?«
Schumacher lachte auf. »Nur weil ich keine tödlichen Gifte gefunden habe, bedeutet das noch lange nicht, dass wir es mit einem gesunden Bio-Produkt zu tun haben.«
»Die Milch steht aber in Verbindung mit dem Tannenhof«, widersprach Sabine, »also bin ich davon ausgegangen …« Sie verstummte mitten im Satz und richtete sich kerzengerade auf.
Verdammt!
»Haben Sie dafür eindeutige Beweise?«, fragte sie dann mit Nachdruck.
»Konventionelle Milch hat eine vollkommen andere Struktur bei ungesättigten Fettsäuren et cetera«, holte Schumacher aus, »aber so genau wollen Sie das vermutlich gar nicht wissen.« Sabine lächelte erleichtert, während ihr Gesprächspartner fortfuhr: »Fakt ist, dass es sich bei dem untersuchten Produkt um ganz profane, konventionell erzeugte Milch handelt. Eine ausführliche Analyse können wir Ihnen gerne zukommen lassen.«
»Ich bitte darum.«
Sabine machte sich Notizen. Als sie sich verabschiedete, nahm sie eine Bewegung in der Tür wahr, und im nächsten Augenblick streckte Angersbach den Kopf hinein. Seine Augen blickten erfrischt, keine Spur von alkoholbedingter Rötung. Entweder vertrug er einfach mehr als sie, oder der Fußmarsch vom Bahnhof hatte eine heilende Wirkung gehabt.
Weitere Kostenlose Bücher