Giftspur
als könne er dem Unausweichlichen davonlaufen. Aber in seinen Augen spiegelte sich jene Hoffnungslosigkeit, die auch im Blick hospitalisierter Zootiere liegt, welche rastlos den ganzen Tag denselben Weg entlangeilen, stets auf der Flucht und zugleich in dem Bewusstsein, ihren Käfig niemals verlassen zu können. Lief hinter der in Falten liegenden Stirn des Spaniers ein Masterplan ab, oder hortete er gar eine Waffe in einem der Mahagonischränke? Nein. Sabine Kaufmann war sich sicher, dass er sich lediglich ausrechnete, welche Handlungsalternative das geringste Übel für ihn bedeutete. Sie ließ ihn gewähren und signalisierte dem unruhig werdenden Angersbach, sich in Geduld zu üben.
»Ich verstehe Ihre Lage«, sprach sie schließlich behutsam weiter, und Moreno hielt inne und blickte sie aufmerksam an. »Uns interessiert primär der gewaltsame Tod zweier Menschen. Wenn diese Milch-Geschichte dabei eine Rolle spielt, sind wir auf Ihre Hilfe angewiesen. Kooperation macht sich immer gut, vor allem, solange wir noch keinen Mörder ermittelt haben.« Sie zwinkerte. »Reitmeyers Geld interessiert uns hingegen überhaupt nicht. Was auch immer er Ihnen bezahlt hat, da soll sich Ihr Steuerberater darum kümmern. Aber Schweigen, um das mal ganz klar zu sagen, ist für Sie die denkbar schlechteste Alternative.«
»Warum?«
»Ich werde mich nicht zu Versprechungen bezüglich des Betrugs hinreißen lassen, aber wenn Sie mit uns offen reden, betrachten wir Sie in dem Mordfall tendenziell als Zeugen. Wenn nicht, behandeln wir Sie als Verdächtigen. Dann hilft Ihnen niemand von uns mehr.«
Natürlich war der Kommissarin bewusst, dass sie sich ziemlich weit aus dem Fenster lehnte, aber sie schien mit dieser Drohung genau die Rezeptoren anzusprechen, die vonnöten waren. Stefan Moreno schlurfte zurück und nahm den Kommissaren gegenüber Platz. Ein tiefer Seufzer entwich seiner Kehle, dann fragte er: »Was wollen Sie wissen?«
Und als Sabine Kaufmann ihm das Stichwort »Milch« gab, begann er eine haarsträubende Geschichte zu erzählen von dürftigen Erträgen des Tannenhofs und der Idee, die gute Bio-Milch mit konventionell erzeugter Überschussware zu vermischen.
»Käse, Joghurt, Kefir und Quark sind ganzjährige Verkaufsschlager«, berichtete Moreno. »Man kann unsere Produkte auch außerhalb des Hofladens kaufen, wir liefern sogar bis nach Frankfurt hinein. Dazu kommt die Frischmilch, für die wir eine relativ konstante Nachfrage haben, zum Beispiel in Kindergärten und anderen pädagogischen Einrichtungen.«
»Kindergärten?«, unterbrach Angersbach ihn empört.
»Jetzt warten Sie halt«, forderte Moreno unwirsch und winkte ab. »Bei der Frischmilch gab es kein Gepansche, jedenfalls nicht meines Wissens.«
»Wieso, etwa wegen ethischer Bedenken?« Ralph machte aus seinem Zynismus keinen Hehl.
»Quatsch. Wegen des Risikos, entdeckt zu werden«, erwiderte Moreno kopfschüttelnd. »Haben Sie schon einmal echte Bio-Milch getrunken? Man kann den Unterschied nicht nur im Labor nachweisen, man schmeckt ihn auch. Das Ganze relativiert sich jedoch bei verarbeiteten Produkten, von daher fiel die Entscheidung nicht schwer.«
Gelegentlich spürte Sabine in seiner Stimme eine wilde Entschlossenheit, die zu sagen schien, dass er sich für nichts zu schämen habe. Selbst gemischt wäre die Milch noch besser als manch anderes Industrieprodukt. An anderer Stelle fiel der Kommissarin ein verräterisches Schwingen, ein Stocken, eine Atempause auf, das ihr verriet, dass Stefan Moreno froh war, den betrügerischen Aktivitäten den Rücken gekehrt zu haben. Wenn auch nicht freiwillig.
»Wessen Idee war das Ganze denn?«, erkundigte sie sich.
»Reitmeyers.«
»Vater oder Tochter?«
»Ulf natürlich.«
»Wer wusste davon?«
»Nur eine Handvoll Leute.«
»Becker? Kötting?«
»Gott bewahre! Die beiden wären Amok gelaufen.« Moreno atmete schnell, er wedelte sich mit den Handflächen frische Luft zu und kniff dann argwöhnisch die Augen zusammen. »Sagen Sie«, setzte er neu an, »ich habe nicht vor, mich hier selbst zu belasten. Was bekomme ich denn für meine Kooperation?«
»Dies ist weder eine offizielle Vernehmung, noch stehen Sie unter Anklage«, wich Sabine Kaufmann wahrheitsgemäß aus, »und unser Gespräch wird nicht einmal aufgezeichnet. Ich sagte Ihnen doch, es geht uns um Hintergrundinformationen. Uns interessiert die Mordermittlung. Diese Panscherei ist zwar das Hinterletzte, mit Verlaub, aber darum darf sich
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