Giftspur
heute erneut besuchen wird.«
Gut zu wissen,
dachte Gunnar Volz, als er wenige Minuten später ohne Eile über das feucht glänzende Kopfsteinpflaster schritt.
Vera Finke wirkte übernächtigt. Sie trug schlaff an ihrem Körper herabhängende Kleidung, die wirkte, als sei sie zwei Nummern zu groß gekauft. Die Seidenbluse gebatikt, eine bessere Pluderhose darunter und an den Füßen lederne Schlüpfschuhe. Wäre sie nicht ohnehin das Sinnbild einer alternativen Bioladen-Schönheit gewesen, heute hätte sie es geschafft. Ohne Schminke und ohne Chemie in den Haaren. War es ihre Natürlichkeit, die ihre Schönheit erst richtig zur Geltung kommen ließ? Oder würde sie mit Hilfe der Kosmetikpalette noch ansehnlicher werden?
Ralph Angersbach schob seine Gedanken beiseite und konzentrierte sich auf die bevorstehende Konfrontation. Entgegen seinen Erwartungen war den Kommissaren kein Anwalt entgegengestürmt, der die Vernehmung seiner Mandantin nach Kräften einzuschränken versuchte. Auch von ihrem Ehemann fehlte jede Spur. Ralph gewährte seiner Kollegin den Vortritt in das karge, beengte Zimmer, dessen einziges Mobiliar aus einem Tisch mit vier Stühlen bestand. Außerdem war eine Videoanlage installiert, welche Angersbach kritisch beäugte.
»Würden Sie das machen?«, raunte er Sabine zu.
»Na klar.« Sabine betätigte einige Schalter, danach nahm sie neben Ralph Platz.
»Guten Morgen, Frau Finke«, begrüßte dieser die ihnen gegenüberkauernde Frau.
»Gut ist wohl relativ«, kam es widerspenstig zurück.
»Wurden Sie ausreichend darüber informiert, weshalb Sie hier sind?«
»Hirnrissig! Mich als Mörderin zu bezeichnen!«
»Sie stehen unter dem
Verdacht
«, griff Sabine korrigierend ein, doch davon wollte Vera nichts wissen.
»Ich verweigere jegliche Stellungnahme dazu«, erwiderte sie bestimmt. »Zu allem anderen stehe ich Ihnen Rede und Antwort. So lauten die Regeln, die unser Anwalt und ich getroffen haben.«
»Wer ist Ihr Anwalt? Brüning?«
»Wer?« Frau Finke schien mit dem Namen nichts anfangen zu können und nannte einen anderen. Angersbach warf Sabine einen fragenden Blick zu, doch diese zuckte mit den Schultern. Kein Staranwalt also. Und keiner, der von Claudia Reitmeyer gesteuert wurde.
»In Ordnung, beginnen wir am besten von vorn.«
Ralph Angersbach bereitete sich auf ein zermürbendes Wortgefecht vor. Jede Frage, die er stellen würde, käme garniert mit Verachtung von Frau Finke zurück. Trotzverhalten, Selbstschutz oder perfides Kalkül?
Wir werden sehen.
Doch schließlich, nachdem die üblichen Fragen nach Name, Geburtsdatum, Anschrift und Familienstand abgehandelt waren, schien sich das Ganze einzupendeln.
»Beschreiben Sie bitte Ihr Verhältnis zu Ulf Reitmeyer.«
»Beruflich oder privat?«
»Guter Einwand«, erwiderte Angersbach mit einem mechanischen Lächeln, »beginnen Sie bitte mit dem beruflichen Aspekt.«
»Ich arbeite im Hofladen des Weidenhofs.«
»Seit wann?«
»Schon immer. Also seit es den Laden gibt.« Sie überlegte kurz. »Dürfte um die Jahrtausendwende gewesen sein. Ja, genau. Unser zehnjähriges Bestehen haben wir schon lange hinter uns.«
»Das genügt, danke. Welche Funktion haben Sie dort inne?«
»Verkäuferin. Na ja, technisch betrachtet. Aber ich habe den Laden mit aufgebaut, bin also auch in allen anderen Prozessen mit eingebunden. Kommissionierung, Sortiment et cetera. Die Bedürfnisse der Kunden lernt man nicht hinter dem Computer sitzend kennen.«
»Spielen Sie dabei auf jemand Bestimmten an?«, hakte Sabine dazwischen.
»Und ob ich das tue.« Vera verschränkte die Arme, sprach aber nicht weiter. Ralph lag Claudias Name auf der Zunge, wollte es jedoch lieber von Vera direkt hören. Also sagte er: »Verraten Sie uns bitte, wen Sie meinen.«
»Ulfs selbsternannte Tochter natürlich«, zischte sie. Sie schien zu wissen, dass Claudia nicht Reitmeyers leibliche Tochter war. So weit, so gut.
»Sie haben bereits anklingen lassen, dass Sie beide nicht miteinander auskommen.«
»Das ist sehr diplomatisch ausgedrückt.«
»Hängt das mit Ihrer privaten Beziehung zu Claudias Vater zusammen?«
»Stiefvater«,
betonte Vera trotzig.
»Eine Adoption hat rechtlich denselben Rang wie eine leibliche Vaterschaft«, erläuterte Angersbach und seufzte kurz. »Tut mir leid, falls Ihnen das missfällt.«
»Missfallen ist gut«, schnaubte Vera. »Ohne dieses Luder hätten Ulf und ich es so schön haben können. So unkompliziert.«
»Meinen Sie ein
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