Gilde der Jäger: Engelsblut (German Edition)
verwandeln.
»Sire … Aodhan und Nassir, wie lange wird die Suche nach ihr noch dauern ?«
Raphael blickte zu der schmalen Mondsichel hinauf, die am wolkenverhangenen Himmel zu sehen war. »Meine Mutter « , sagte er zu einem der wenigen Männer, denen er vertraute, »war selbst in ihrem endgültigen Wahnsinn noch intelligent. Mehr als tausend Mal ist die Erde um die Sonne gekreist, ohne dass sie gefunden wurde. Selbst wenn wir es schaffen, wird es keine leichte Aufgabe sein, sie in unsere Gewalt zu bekommen .« Und doch musste er es versuchen.
Denn sie lebte, weil er versagt hatte.
»Schhh, mein Liebling, schhhh .«
Die letzten Worte, die sie gesprochen hatte, als sie davonging. Ihre feingliedrigen Füße wurden immer kleiner, fast schien sie auf dem taufeuchten Gras zu tanzen. Im Tau funkelten purpurrote Tropfen, ein plötzlicher Ausbruch von Farbe, die sich über die Wiese ergoss, als er aus unendlich großer Höhe fiel. Seine Flügel waren zerknittert, die Wucht, mit der sein Körper auf der Erde aufgeschlagen war, hatte ihm Körperteile abgerissen und Blut aus seinem Mund quellen lassen. Seine Rippen stachen in Herz und Lunge, und das Bein, das noch an seinem Körper hing, war in mindestens fünfzehn Teile gebrochen.
Als er dalag, so verwundbar, wie er es seit seiner Kindheit nicht mehr gewesen war, hatte sie sich neben ihm hingekauert und ihm mit sanften mütterlichen Händen die blutdurchtränkten Haare aus der Stirn gestrichen.
»Oh, mein Liebling. Mein armer Raphael. Es tut jetzt weh, aber es musste sein .« Ihre blauen, blauen Augen quollen über vor Zärtlichkeit. »Du wirst nicht sterben, Raphael. Du kannst nicht sterben. Du bist unsterblich .« Ein Kuss auf seinen gebrochenen Wangenknochen, leicht wie ein Schmetterling. »Du bist der Sohn zweier Erzengel .«
Er sagte nichts. Er konnte nicht sprechen, denn sein Kehlkopf war zerquetscht. Doch sie verstand, was seine Augen sagten – Unsterbliche konnten doch sterben. Er hatte seinen Vater sterben sehen. Durch die Hand seiner Mutter.
»Er musste sterben, mein Lieber. Andernfalls hätte die Hölle auf Erden geherrscht .« Sie lächelte bedächtig, während er sie weiterhin anstarrte und lautlos tausend Dinge sagte. »Und ich ebenfalls – deshalb bist du gekommen, um mich zu töten, nicht wahr ?« Das weiche, volltönende Lachen einer Mutter, die sich an ihrem Sohn erfreut. »Du kannst mich nicht töten, süßer Raphael. Nur jemand aus dem Kader der Zehn kann einen Erzengel töten. Und sie werden mich niemals finden .«
Ihre Füße bewegten sich leicht und anmutig über das Gras, die Fußsohlen waren rot von seinem Lebenssaft. Von ihren Flügeln rieselte Engelsstaub herab, funkelte und glitzerte in täuschender Reinheit.
»Komm, Dmitri « , sagte er und drängte die Erinnerungen zurück in die Schatten, wo sie die meiste Zeit seines Erwachsenenlebens verbracht hatten. »Wir müssen weitermachen .« Seit er über diese Stadt herrschte, hatte er sich nicht mehr an einer solchen Patrouille beteiligen müssen – er war ein Erzengel, sein Augenmerk richtete sich auf größere Themen.
Doch als an diesem Tag der Abend zur Nacht wurde, musste er fliegen, seine Stadt durchforsten und sie von dem Bösen befreien, das Caliane entfesselt hatte. Seine Mutter würde sein Gebiet nicht übernehmen. Und er würde nicht noch einmal versagen – auch wenn das bedeutete, dass er die Frau töten musste, die ihn einst mit solch unendlicher Liebe in ihren Armen gewiegt hatte, dass die Erinnerungen daran ihn nicht losließen.
17
Elena und Venom halfen Ransom dabei, die regennassen Straßen von Boston zu durchkämmen, nachdem die Behörden ihnen gestattet hatten, das Lagerhaus zu verlassen. Sie fanden nur noch einen einzigen weiteren Vampir – doch der war so in seinem Blutrausch gefangen, dass er nicht einmal für eine Sekunde von dem übel zugerichteten Hals seines Opfers aufsah, als Ransom sich ihm von hinten näherte. Im nächsten Augenblick wurde ihm der Kopf vom Hals getrennt und Ransom wieder mit Blut bespritzt.
»Scheiße « , murmelte er müde, als der Nieselregen das Blut tief in seine Kleidung sickern ließ, nun nicht mehr stark genug, um es abzuwaschen. »Ruf die Bullen an .« Er warf ihr sein Telefon zu, und sie wählte die zuletzt angerufene Nummer erneut.
Danach setzte sie sich auf die Stufen eines der eleganten alten Häuser, die diese ruhige Straße säumten. Jetzt waren sie alle verschlossen, in jedem der Fenster brannte Licht. Die Nachricht
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