Gillian Shields - Die Schwestern der Dunkelheit - 02
war nicht interessiert an Josh und hasste die Vorstellung, Sarah weh zu tun. Es hatte vermutlich auch gar nichts zu
bedeuten, redete ich mir ein. Vergiss es . Das einzig Wichtige war, nach Uppercliffe zu kommen. Ich brachte mein Pony dazu, mit Sarah mitzuhalten, und während ich über die winterlichen Hügel ritt, schlug der Talisman gegen mein Herz.
Achtzehn
U ppercliffe. Kaum mehr als ein in Trümmern liegendes Bauernhäuschen, das versteckt in der einsamen Landschaft lag, vollkommen von Gras und Brennnesseln überwuchert. Der Wind fegte über die Schneewehen, die hier und dort noch lagen. Es war leicht, sich vorzustellen, wie es hier in den alten Tagen gewesen sein musste: meilenweit weg von allem, die einzigen Geräusche Vogelstimmen und blökende Schafe. Hier in Uppercliffe hatte Lady Agnes ihren größten Schatz versteckt — die kleine Effie mit den kastanienbraunen Locken, Agnes’ Tochter und meine Ururgroßmutter.
Sarah und ich glitten von den Ponys und gingen zu den eingestürzten Überresten des Hauses hinüber. Das Zeichen des Talismans, dieses kostbaren Erbstücks, war vor vielen Jahren über der Tür eingeritzt worden. Es kam mir wie ein passender Ort für ein Versteck vor. Ich betete, dass der Hexenzirkel nicht auf die Idee kommen würde, ausgerechnet hier danach zu suchen. Ich war mir ganz sicher, dass sie nichts von Agnes’ Verbindung mit dem alten Hof wussten.
»Wir finden drinnen bestimmt ein passendes Versteck«, sagte ich.
»In Ordnung, aber sei vorsichtig; das Dach ist größtenteils
eingestürzt, und es gibt immer noch ein paar Balken, die gefährlich aussehen.«
»Ich bin vorsichtig«, versprach ich. Ich ging unter dem Steinbogen der Tür hindurch und betrat das zerstörte Haus. Ganz plötzlich blendete mich ein greller Lichtschein, und mein Magen hob sich, als würde ich aus großer Höhe auf den Boden fallen. Ich blinzelte, und als ich die Augen wieder öffnete, stand ich in einem niedrigen Wohnzimmer. Eine stämmige Frau in einem langen Kleid beugte sich über ein rauchendes Feuer. Ich wusste, wer das war: Martha, Agnes’ alte Amme, die vor langer Zeit auf dem Hof gelebt hatte. Sie wischte sich mit der Schürze das Gesicht ab und drehte sich um, um eine hölzerne Wiege zu schaukeln, in der ein Baby mit hellem Haarflaum schlief, eingewickelt in eine selbstgemachte Wolldecke. Martha sang leise, während sie das Baby wiegte; dann sah sie zu dem kleinen Tisch in der anderen Ecke des Zimmers, an dem Agnes saß und in einem schwarzen, ledergebundenen Buch schrieb. Es war ihr Tagebuch. Ich hatte unter Sebastians besorgtem Blick jedes Wort davon gelesen, während er versucht hatte, mir das verworrene Netz zu erklären, das uns alle verband: Agnes, Sebastian, Effie und Evie.
Agnes hörte auf zu schreiben und blickte auf, schaute mich direkt an. Ich sah Erkenntnis in ihren Augen.
»Ich bin hier!«, versuchte ich ihr zuzurufen, aber die Worte kamen mir nicht über die Lippen. »Ich bin hier!« Dann erwachte ich von dem Bann, stöhnte immer noch: »Hier, hier, hier …«
»Ist dies die Stelle, wo du es verstecken willst?«, fragte Sarah mit besorgter Stimme. »Du meinst, hier?«
Ohne es zu bemerken, hatte ich mich in der hintersten Ecke des in Trümmern liegenden Hauses hingekauert, dort, wo Agnes am Tisch gesessen hatte. Ich scharrte mit bloßen Fingern an der kalten Erde.
»Ja, hier«, sagte ich keuchend. »Dies ist die Stelle …«
»Warte, Evie. Helen wird bald da sein«, drängte Sarah. Sie trat näher zu mir und legte mir eine Hand auf den Arm. »Hast du sie gerade gesehen? Hast du Agnes gesehen? Glaubt sie, dass wir das Richtige tun?«
»Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass ich hier graben muss, in dieser Ecke.«
Draußen wieherte eines der Ponys alarmiert, und ich glaubte, Hufgetrappel zu hören. Zitternd erhob ich mich und ging nach draußen, um nachzusehen, was da vor sich ging; ich hoffte, Helen dort zu sehen. Aber es war nicht sie. Ich spannte mich augenblicklich an, schlagartig vollkommen wachsam. Hier stimmte etwas nicht.
Auf der gegenüberliegenden Seite einer Senke in den Moors unterhielten sich zwei Wyldcliffe-Schülerinnen auf den Rücken ihrer Pferde mit zwei anderen Reitern. Die Fremden trugen keine richtige Reitkleidung, nur Pullover und zerrissene Jeans. Eines war ein kleines Mädchen von etwa acht oder neun Jahren auf einem zotteligen Pony. Ein älterer Junge im Teenager-Alter, vielleicht ihr Bruder, ritt sattellos auf einem scheckigen Pferd. Er ließ sich
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