Girl
Ihre Stimme soweit nach oben zu drücken, dass Ihre Aufzeichnung auf dem Monitor sich möglichst weitgehend mit dem Diagramm der Frauenstimme vom Band deckt.«
Und so besteht das Ende jeder Sitzung darin, dass ich irgendwelches schwachsinnige Gebrabbel wiederhole, wie »Manch Montagmorgen mit Milch und Marmelade macht Melinda meistens munter«, und dabei versuche, die Zinken und Zacken mit dem vorgegebenen Muster auf dem Radarschirm in Übereinstimmung zu bringen.
Schwer zu sagen, ob es noch bescheuerter ist als die allwöchentlichen Wir-sitzen-mit-den-Knien-zusammen-Kurse bei Carrie Partridge oder die Tatsache, dass man jemandem ein kleines Vermögen dafür hinblättert, dass er einem elektrische Stricknadeln ins Gesicht jagt. Soviel ist sicher: Wer sein Geschlecht wechselt, muss sich auf eine ganze Reihe extrem unsinniger Aktionen einlassen, um es ganz damenhaft zu sagen.
Dennoch scheint der Kurs etwas zu bringen, denn wenn ich mir die Bänder, die ich ganz zu Anfang besprochen habe, anhöre, klingt meine Stimme auf der gestrigen Aufnahme im Vergleich dazu doch erstaunlich anders. Und wenn ich mich breitbeinig wie ein Mann in einem Stuhl zurücklehne, stell ich fest, dass ich mir fürchterlich entblößt vorkomme, so dass ich inzwischen fast automatisch die Beine zusammenhalte.
Heute Morgen war ich beim Aerobic-Kurs im Fitnessstudio. Heute Nachmittag hatte ich meinen üblichen Mittwochs Termin auf Dr. Jenny Fieldens Couch – genauer gesagt, auf einem Stuhl vor ihrem Schreibtisch. Ich klagte über meine Knie und sagte dann: »Ich glaube, gestern Abend vor dem Fernseher hatte ich einen echten Augenblick der Wahrheit.
Ich war allein zu Hause, weil Mike mit Caroline im Kino war, und es liefen gleichzeitig zwei klasse Filme auf verschiedenen Kanälen.
Terminator 2
auf dem einen und
Magnolien aus Stahl
auf dem anderen.
T 2
habe ich schon zigmal gesehen,
Magnolien aus Stahl
habe ich noch nie bis zum Ende durchgehalten. Irgendwie konnte ich nie begreifen, was an einem Film über einen Kosmetiksalon im tiefsten amerikanischen Süden dran sein soll, selbst wenn Julia Roberts und Geena Davis mitspielen.
Aber gestern dachte ich, versuch’s mal, und ich blieb dran. Am Ende musste ich sogar weinen. Und es war mir auch überhaupt nicht peinlich, als Mike und Glove-Puppet nach Hause kamen, und ich mit einem aufgeweichten Kleenex wie ein Häufchen Elend auf dem Sofa hockte. Na ja, jedenfalls nicht sonderlich peinlich.«
»Bravo«, sagte Jenny Fielden, »Sie machen Fortschritte. Erzählen Sie mir, wie es mit Carrie Partridges Kurs läuft?«
»Weniger berauschend … ich weiß, sie tut ihr Bestes. Aber sie scheint zu glauben, dass man nur mit Faltenrock als Frau durchgeht. Das ist Quatsch. Ich denke, eine Frau zu sein hat mit diesen Dingen überhaupt nichts zu tun. Ich bin nicht mehr oder weniger Frau, wenn ich Doc Marten’s trage … das macht nicht den geringsten Unterschied.«
Ich hielt einen Augenblick inne. Dr. Fielden blickte mich mit einem ironischen, feinsinnigen Lächeln an. »Hey, was ist daran so lustig?« fragte ich.
»Ich hätte Sie nicht für eine geborene Feministin gehalten.«
»Ich bin keine gottverdammte Feministin!«
»Sie wollen selbst entscheiden, welcher Typ Frau Sie sind, und Sie protestieren, wenn andere es für Sie tun, das klingt für mich nach einem guten feministischen Grundsatz.«
Es folgte ein kurzes Schweigen, während ich darüber nachdachte, was die Psychiaterin da eben gesagt hatte. »Wissen Sie«, sagte sie dann, »während unserer Gespräche habe ich mich immer wieder gefragt, woran Sie mich erinnern. Die Frage geht mir schon seit Wochen im Kopf herum. Sogar Ihre Art, sich zu kleiden, erinnert mich an etwas, an eine bestimmte Person. Und soeben ist mir ein Licht aufgegangen: Sie sind genau wie meine fünfzehnjährige Tochter.
Halt, seien Sie nicht gleich eingeschnappt. Ich will es Ihnen erklären. Sie tut sich mit ihrem Hineinwachsen in die Frauenrolle sehr schwer, genau wie Sie. Bei ihr ist es selbstverständlich ein ganz natürlicher Prozess. Aber sie und mit ihr jedes andere pubertierende Mädchen haben einen Punkt mit Ihnen gemein, und gerade das macht Sie für mich zu einer so einmaligen Patientin. Ich meine die Tatsache, dass Sie beide es sich nicht ausgesucht haben. Ganz plötzlich müssen die jungen Mädchen mit der Menstruation fertig werden, mit einem neuen Körper, mit chaotischen Hormonveränderungen, mit männlicher Aufmerksamkeit und männlichen Annäherungsversuchen,
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