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Girlfriend in a Coma

Girlfriend in a Coma

Titel: Girlfriend in a Coma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Douglas Coupland
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Wahl. Früher gab es immer eine Boheme oder einen kreativen Untergrund, dem du dich anschließen konntest, wenn das Mainstream-Leben nicht dein Ding war - oder die Kriminalität oder sogar die Religion. Und jetzt gibt es nur noch das System. Alle anderen Optionen haben sich in Luft aufgelöst. Für die meisten Menschen heißt es: entweder das System oder was der Tod? Es gibt nichts. Es gibt keinen Ausweg mehr.« Eine Papiermühle oben am Fjord des Howe Sound überzieht den Himmel mit einer ascheweißen Glasur. Hamilton fragt: »Was ist mit den Leuten, die du kennst - Richard, Wendy, Pam und mir? Welche Veränderungen hast du bei uns festgestellt?“
    »Du meinst bei Freunden und Eltern?“
    »Ja.«
    Karen schildert ihm nur die schmackhafte Seite der Medaille. »Was mir auffällt, ist, daß sich niemand in den siebzehn Jahren wirklich verändert hat; alle sind bloß intensivierte Ausgaben ihrer selbst. Mom ist so ... äh ... feldwebelhaft wie eh und je. Dad ist nett, aber verschroben. Richard ist immer noch ernst und lieb, und er gibt sich solche Mühe. Du bist immer noch ein Flegel. Pam ist auf stille Weise schön. Linus lebt immer noch auf dem Mars. Und obwohl Wendy bereits Ärztin ist, denkt sie immer noch so, als würde sie Aufsätze schreiben und Einsen dafür bekommen. Alle sind, ja - mehr sie selbst geworden.«
    Das Auto surrt dahin, und sie betrachten die Berge und die Stadt. »Wißt ihr noch, wie wir zum Future Shop gegangen sind, um eine Kamera zu kaufen?« fragt Karen. Die anderen nicken. »Habt ihr die Kategorien gesehen, nach denen die Artikel dort sortiert waren? ›Simulation‹, ›Produktivität‹, › Spielen Ich meine, was für eine Welt ist das bloß? Und sagt mir bitte mal, was mit der Zeit passiert ist? Niemand hat noch Zeit. Was soll das? Mist. Jetzt hab' ich schlechte Laune.« Das heruntergelassene Fenster läßt den schwachen Industrie-Furzgeruch der Papiermühle in den Jeep. Karen zieht sich hinter ihre Sonnenbrille zurück. Sie verschweigt Hamilton, daß sie erwartet hatte, die Leute seien mit vierunddreißig Jahren erwachsen geworden. Statt dessen wirken sie bloß isoliert und ohne einen Kern, der ihrem Leben einen Sinn geben könnte. Hamilton spricht weiter: »Und was ist mit deiner liebreizenden Tochter Megan?«
    Karen lächelt: »Ist sie nicht supercool, Ham? So stark. So selbstsicher. Stell dir mal vor, mit siebzehn schon so ausgeglichen zu sein - wow.« Sie hält inne. »Na ja, in gewisser Weise bin ich siebzehn. Dann kann ich vielleicht doch so cool sein wie sie. Ja.«
    »Ich glaube, du wirst älter sein müssen«, sagt Pam gähnend vom Rücksitz. »Die Leute erwarten von dir, daß du nach der langen Schlafenszeit weise geworden bist. Für die meisten Menschen bist du nicht mehr siebzehn - du bist tausend Jahre alt.«
    Das stimmt. Karen wird behandelt, als habe sie nicht nur einen Sinn für Farben, für Gerüche und Klänge, sondern noch einen weiteren - mit dem sie etwas Phantastisches, Wunderbares erkennen kann, das weit über Farben hinausgeht. Sie hat das leise Gefühl, daß man sie ein wenig darum beneidet. Außerdem frustriert es sie, zu wissen, daß sie etwas gesehen hat und daß dieses Etwas irgendwo verschüttet und unerreichbar ist.

    Megan leidet jetzt unter morgendlicher Übelkeit und fragt sich, wie lange sie ihr Geheimnis noch bewahren kann. Sie geht fast all ihren alten Freunden aus dem Weg und wohnt bei Richard, meistens allein, da dieser den Großteil seiner Zeit bei Karen oder bei der Arbeit verbringt. Ihr gefällt das Alleinsein; sie ist zu jung, um die pochende Last der Einsamkeit zu begreifen. Sie hat die meisten ihrer alten Gothic-Klamotten aussortiert und bevorzugt jetzt einen minimalistischen, etwas sportlichen Look. Außerdem hat sie die Schule abgebrochen und arbeitet nun halbtags bei Linus; sobald ihr Baby bei der Tagesmutter ist, würde sie gern ganztags dort arbeiten.
    Aus Mangel an Gleichaltrigen ist Megan darauf angewiesen, sich mit Erwachsenen zu unterhalten. Sie kann es kaum fassen, daß sie tatsächlich das Bedürfnis hat, mit Lois zu sprechen. Ein guter, saftiger Streit wäre bestimmt amüsant. Karen (»Bio-Mom«) ist toll, wenn auch etwas weltfremd (Naja, immerhin hat sie zwanzig Jahre verpaßt). Aber zwischen ihnen herrscht immer noch eine gewisse Unbeholfenheit. Eifersucht? Emotional sind sie beide gleich alt; beide brauchen Zuwendung von Richard, Lois und den anderen. Doch auf irgendeiner tieferen Ebene funkt es einfach nicht zwischen ihnen. Sie

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