GK0168 - Die Nacht des Schwarzen Drachen
Gesicht. »Meine Mutter kannte Quarry nicht und hat ihn abgewimmelt. Mir ging es an diesem Tag sehr dreckig. Hätte ich allerdings gewußt, daß Tom…«
Hang Tau verstummte.
»Aber wir werden seinen Mörder finden«, sagte der Corporal überzeugt. »Außerdem hat sich Scotland Yard eingeschaltet. Im Chinesenviertel soll es sowieso gären. Hast du denn davon nichts gehört?«
»Nein.«
Hang Tau ging die paar Schritte bis zum Büro des Sergeants.
Dort klopfte er an die Tür.
»Come in!« rief eine kräftige Männerstimme.
Hang Tau betrat das Büro.
Sergeant Menon saß hinter seinem Schreibtisch. Er hatte das große Dienstbuch aufgeschlagen vor sich liegen und machte dort seine Eintragungen.
Als Hang Tau eintrat und die Tür hinter sich schloß, hob der Sergeant den Kopf.
»Sieh einmal an, Hang Tau«, sagte er. »Mit Ihnen haben wir schon gar nicht mehr gerechnet. Wollen Sie endlich Ihre Krankmeldung abgeben?«
Hang Tau betrachtete den Sergeant mit starrem Blick. Er kannte den mittelgroßen Mann mit der Halbglatze und der dicken Hornbrille schon seit Jahren. Sergeant Menon war nicht sehr beliebt. Er war ein Law-and-Order-Typ, und für ihn gab es nur eine Tugend: Disziplin!
Der Sergeant lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. »Es ist Ihnen doch klar, Hang Tau, daß ich Ihr Verhalten nicht durchgehen lassen kann. Ich muß Meldung machen, verlange aber erst einmal eine Erklärung von Ihnen!«
»Die können Sie haben, Sergeant«, sagte der junge Polizist und riß im selben Augenblick sein Hemd auf.
Der Sergeant sprang hinter seinem Schreibtisch hoch. Er wollte etwas sagen, doch er konnte noch nicht mal den Mund öffnen. Die Drachenfratze auf der Brust des Chinesen hatte ihn in ihren Bann gezogen.
***
John Sinclair hatte den Beamten der Mordkommission das Feld überlassen und saß wieder in seinem Bentley. Suko stand neben dem Wagen und beobachtete mit Argusaugen die Straße.
Die Sonne stand schon tief. Beinahe waagerecht schickte sie ihre Strahlen in die enge Straßenschlucht und übergoß die schmutzigen Bauten mit einem rotgelben Schein.
Die Neugierigen hielten sich in respektvoller Entfernung.
Wenn die Polizei mit einem größeren Aufgebot erschien, traute sich niemand mehr nahe heran. John sah auch die Rocker unter den Zuschauern. Als sich ihre Blicke einmal kreuzten, grinste der Anführer schief. Er war John sicher dankbar, daß dieser ihn nicht eingelocht hatte.
John Sinclair öffnete das Handschuhfach und holte ein Magazin mit geweihten Silberkugeln hervor. Dieses tauschte er gegen das mit normalen Kugeln gefüllte aus.
Der Oberinspektor wußte nun genau, daß finstere Mächte ihre Hände mit im Spiel hatten, und es war in der Regel so, daß Dämonen gegen normale Kugeln immun waren. Geweihte Silberkugeln jedoch wirkten auf sie verheerend.
Allerdings auch nicht auf alle. Man unterschied wieder Rangstufen. Die niederen Chargen waren ohne weiteres durch Silberkugeln aus der Welt zu schaffen, aber bei den höheren Dämonen mußte man sich schon etwas anderes einfallen lassen. John Sinclair hatte darin seine Erfahrungen.
Das Autotelefon befand sich links neben der Gangschaltung. John nahm den Hörer, kurbelte die Seitenscheibe herunter und ließ sich von Suko Li Tse Fengs Telefonnummer sagen.
Dann wählte er.
Als John seinen Namen gesagt hatte, verband man ihn blitzschnell weiter. Wahrscheinlich hatten die Sekretärinnen eine diesbezügliche Order erhalten.
Li Tse Feng meldete sich. Seine Stimme klang gehetzt, übernervös.
»Hier Sinclair«, sagte John, während er sich bequem in seinen Sitz sinken ließ.
»Was gibt es, John? Haben Sie schon eine Spur?«
»So gut wie. Eine Frage: Ist Ihnen der Name Li Wang ein Begriff?«
Die Antwort kam schnell, wie aus der Pistole geschossen. »Natürlich, John. Li Wang ist der mächtigste Mann im Chinesenviertel. Sämtliche Wäschereien…«
»Das weiß ich schon.« John unterbrach seinen Gesprächspartner. »Können Sie sich vorstellen, daß dieser Li Wang etwas mit dem Schwarzen Drachen zu tun hat?«
Li Tse Feng überlegte. »Das ist eine komplizierte Frage. Man will schließlich nicht ohne weiteres jemanden verdächtigen – aber Einfluß und Macht hat er schon.«
»Kennen Sie ihn näher?«
»Ja und nein. Wir haben uns natürlich ein paarmal gesehen. Mein Freund ist er allerdings nicht. Wir haben wohl geschäftlich miteinander zu tun. Ich lasse die schmutzige Wäsche, die in meinen Lokalen anfällt, bei ihm
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