GK0202 - Der Fluch der schwarzen Hand
bei diesem Wetter Kopfschmerzen, wälzten sich nachts unruhig in den Betten herum und konnten nicht schlafen.
Die Stimmung wurde gereizt, es gab Streit aus nichtigen Anlässen, und in den großen Städten schnellte die Selbstmordquote abrupt in die Höhe.
Der Friedhof von Bodmin lag in völliger Dunkelheit. Nicht eine Laterne brannte. Auch das Leichenhaus wurde nicht beleuchtet. Es ragte wie ein dicker unförmiger Klumpen zwischen Bäumen und Büschen hoch, deren Zweige vom Nachtwind bewegt wurden und über die Mauern des Hauses kratzten.
Am Himmel zog der bleiche Mond seine Bahn, oft versteckt hinter dicken dunklen Wolken, deren faserige Ränder silbrig schimmerten.
Nichts rührte sich bei der Familiengruft der Parsons.
Oder?
Die halbverfaulten Kränze, die auf dem Lehmhügel lagen, bewegten sich plötzlich. Sie rutschten den Erdhügel hinunter, der frische Wind faßte die langen Schleifen, hob sie hoch und ließ sie flattern wie Fahnen.
Die feuchte Erde begann zu bröckeln. Kleine Lehmklumpen rannen wie Murmeln zu beiden Seiten des frisch aufgeworfenen Grabes herab. Etwas drückte vom Innern des Grabes her gegen die Erde.
Der Tote stand auf!
Jetzt waren alle Kränze und Buketts zur Seite gerutscht. Im gleichen Augenblick trat der Mond wieder hinter einer Wolke hervor. Er stand so günstig, daß sein Licht direkt auf die Gruft der Parsons fiel.
Jahrmillionen war das Licht des Mondes alt, in dem die Kraft des Bösen steckte, wie die Überlieferungen und Legenden besagten.
Das Grab wirkte wie mit einem silbernen Schimmer überzogen, und plötzlich schoben sich die fünf Finger der schwarzen Hand aus der Erde.
Grausam war die Hand anzusehen. Immer weiter kroch sie aus dem Grab hervor.
Ein Arm folgte.
Kalt und weiß leuchtete er im Mondlicht.
Dann die Schulter, der Kopf…
Ritchie Parson kletterte aus dem Grab.
Er trug noch sein langes Totenhemd, das jetzt allerdings mit Dreck und Lehm verschmiert war. Auch in den Haaren klebte der Schmutz, und die Gesichtshaut war gelblichweiß. Tief lagen die Augen in den Höhlen, wirkten wie finstere Schächte.
Ritchie Parson stieg vollends aus dem Grabe. Noch ungelenk machte er die ersten Schritte.
Er fühlte nichts, er spürte nichts. Sämtliche menschlichen Empfindungen waren ausgeschaltet und abgetötet worden. Ritchie Parson war eine Marionette in der Hand des Teufels.
Und er wußte, wohin er zu gehen hatte.
Ritchie Parson verließ die Gruft, steuerte den Hauptweg an und bewegte sich in Richtung Ausgang.
Niemand sah ihn, niemand kam ihm entgegen. Um diese Zeit war der Friedhof menschenleer.
Der lebende Tote erreichte das Tor. Es bereitete Ritchie keinerlei Schwierigkeiten, es zu überklettern. Dann ging er auf das Dorf zu.
Er lief in der Mitte der Straße, die leer und verlassen vor ihm lag. Kein Auto kam ihm entgegen. Bodmin lag am Ende der Welt, und die Fernstraßen führten daran vorbei.
Der Wind blies dem lebenden Toten ins Gesicht, wirbelte seine verklebten Haare durcheinander und preßte das ehemals weiße Leichenhemd fest gegen seinen Körper.
Doch Ritchie hatte keine Empfindungen mehr, er wußte nur, daß auf ihn noch eine Aufgabe wartete.
Sein Ziel war das Haus seiner Mutter…
***
Auch in dieser Nacht fand Lady Parson keinen Schlaf. Immer wieder mußte sie an Ritchie denken. Sehnsüchtig wartete sie auf die Stunde, da er vor ihr stehen würde.
Ritchie, dem all ihre Liebe gegolten hatte.
Sie hatte die Vorhänge nicht zugezogen. Immer brannte eine kleine Lampe im Zimmer. Wenn Ritchie kam, sollte er wissen, daß seine Mutter auf ihn wartete.
Ritchie würde sich rächen wollen. An Averell Parson, seinem Ziehvater. Es machte Lady Parson gar nichts aus, wenn sie daran dachte. Das geschah ihm ganz recht. Averell sollte erkennen, was es heißt, sich mit dem Satan anzulegen.
Der Keim des Bösen war völlig in Dorothy Parson aufgegangen. Sie hatte das Kind des Teufels zur Welt gebracht und zu ihm eine noch stärkere Bindung als andere Frauen zu ihren Kindern.
Wenn Ritchie doch endlich käme!
Lady Parson saß in ihrem Sessel und rauchte eine Zigarette. Sie hatte schon mit dem Gedanken gespielt, den Friedhof aufzusuchen, dann aber davon wieder Abstand genommen. Man hätte sie sehen können, und die Dorfbewohner waren schnell mit allem Klatsch und Tratsch bei der Hand.
Wieder stand Lady Parson auf und ging zum Fenster. Sie war völlig normal angezogen, trug eine lange Hose und einen Pullover. Nur das Gesicht wirkte noch verkniffener als sonst.
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