GK317 - Das zweite Leben der Marsha C.
eigentlich zu wissen, wohin er sich begeben wollte.
Es schien ihm im Augenblick nur wichtig zu sein, sich in der Stadt zu bewegen. Vielleicht wollte, er sich mit dem Fahren auch bloß ablenken. Er wußte es selbst nicht so genau.
Warum hatte er sich von den anderen nur breitschlagen lassen? Warum ließ er sich überreden, das Steuer zu übernehmen?
Wenn man etwas getrunken hat, wird man leichtsinnig und unvernünftig. Das hatte sich bitter gerächt. Kenna fragte sich, ob er über dieses furchtbare Erlebnis überhaupt jemals hinwegkommen würde.
Mit einemmal wurde um ihn herum alles auf eine seltsame Weise unwirklich. Zwielicht breitete sich in der Straße aus, die Clark Kenna durchfuhr.
Er beugte sich weiter vor, verlangsamte die Fahrgeschwindigkeit. Er konnte die Umgebung kaum noch wahrnehmen.
Außer dem Pontiac rollte kein anderer Wagen durch die Geisterstraße. Clark Kenna leckte sich nervös die Lippen.
Was hatte das zu bedeuten? War mit seinen Augen irgend etwas nicht in Ordnung? Oder war sein Geist daran schuld? Hatte er eine Halluzination?
Er wollte den Pontiac anhalten und warten, bis der vermeintliche Anfall vorüber war. Doch irgend etwas in ihm befahl ihm weiterzufahren.
Da er aber wußte, daß das in seinem Zustand unverantwortlich war, lehnte er sich verzweifelt gegen diesen unsinnigen Befehl auf.
Er wollte keine ähnliche Situation heraufbeschwören wie die von jener unheilvollen Nacht. Er konnte kein Hindernis mehr sehen.
Früher oder später mußte das unweigerlich zu einer neuerlichen Katastrophe führen. Wütend erkannte Clark Kenna, daß nicht er mit dem Wagen fuhr, sondern sein Wagen mit ihm.
Das Fahrzeug machte, was es wollte. Es schien ferngesteuert zu sein.
Ferngesteuert - von wem?
Kenna hätte die Hände vom Lenkrad nehmen können. Der Wagen hätte dennoch die Spur gehalten. Dem hageren Mann wurde unheimlich zumute.
Er raffte seine gesamte geistige Kraft zusammen, um diesem geheimnisvollen Einfluß entgegenzuwirken. Doch es half nichts.
Der Wagen setzte die Fahrt mit unverminderter Geschwindigkeit fort.
Zehn Sekunden später passierte es dann.
Clark Kenna begriff sofort, daß er dieselbe Situation von damals noch einmal erlebte. Allerdings saß er diesmal in seinem eigenen Wagen und war allein.
Aber sonst lief alles genauso ab wie schon einmal. Ein blondes Mädchen stand auf der Fahrbahn. Wieder sah Kenna sie zu spät.
Lenkung, Gaspedal und Bremse funktionierten nun wieder. Kenna stieß einen erschrockenen Schrei aus, als er das Mädchen erblickte.
Aus der Zeitung kannte er ihren Namen. Marsha Caan hieß sie.
Er fuhr sie genauso an wie damals. Er hörte den dumpfen Aufprall, und dann sah er, wie Marsha hochgerissen und durch die Luft geschleudert wurde. Das Herz wollte ihm dabei stehenbleiben.
Kenna stoppte das Fahrzeug, so schnell er konnte. Wieder zitterten seine Knie so sehr, daß er glaubte umzufallen, wenn er ausstieg.
Doch diesmal blieb er nicht im Wagen sitzen. Mit schweißnassem Gesicht öffnete er die Tür. Kopfschmerzen quälten ihn.
Seine Kehle war wie zugeschnürt. Er konnte nicht verstehen, wie sich die ganze grauenvolle Szene ein zweitesmal hatte abspielen können.
Als er aus dem Pontiac stieg, knickten seine Knie ein. Er mußte sich kurz am Wagenschlag festhalten und mehrmals kräftig durchatmen.
Dann ging es halbwegs. Mit wild schlagendem Herz stakste er in die Richtung, in der das Mädchen liegen mußte.
Er entdeckte Blut auf der Fahrbahn. Aber er konnte das Mädchen nirgendwo sehen. Verzweiflung übermannte ihn. Schluchzend ballte er die Hände zu Fäusten.
»Ich kann nicht mehr!« ächzte er mit verzerrtem Gesicht. »Ich halte das nicht mehr aus!«
Total benommen kehrte er zu seinem Wagen zurück. Er sah nach dem Kühlergrill. Der Aufprall hatte keinerlei Spuren hinterlassen.
Das war unmöglich. Hank Parnabys Wagen war vorne eingedrückt gewesen. Der Pontiac hatte nicht die kleinste Schramme abbekommen.
»Ich bin verrückt!« stöhnte Clark Kenna. »Ich habe den Verstand verloren! Ich kann die Trugbilder, die mir mein Geist vorgaukelt, von der Wirklichkeit nicht mehr unterscheiden!«
Er wollte sich wieder in den Wagen setzen.
Da sah er plötzlich Marsha Caan. Jetzt lag sie doch auf der Straße. Mit dem Gesicht nach unten. Schwer verletzt vermutlich.
Sterbend vielleicht.
Der hagere Mann erstarrte. Dein Gewissen straft dich! dachte er. Du siehst diese grauenvollen Dinge, obwohl es sie gar nicht gibt.
Kenna wollte sich diesen Gedanken selbst
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