GK334 - Im Tal der Vampire
Sein verzerrtes Gesicht entspannte sich. Er vermochte wieder regelmäßig zu atmen.
Ich schaute das Mädchen dankbar an. »Sie sind ein Engel. Sie haben ihm das Leben gerettet.«
»Das war doch selbstverständlich, Mr. Ballard. Engel tun weit mehr als das.«
»Was haben Sie sonst noch in Ihrer Apotheke?« erkundigte ich mich.
»Nur noch Tabletten gegen Darmkoliken und Tropfen gegen die Reisekrankheit. Mehr konnte ich in der Eile nicht zusammenraffen.«
»Sie waren ungemein geistesgegenwärtig, noch an so etwas zu denken«, lobte ich.
»Schlafpulver habe ich auch noch.«
»Geben Sie ihm was davon«, verlangte ich und wies auf den Dirigenten.
Für diesen Tag war an eine Fortsetzung des Gewaltmarsches nicht mehr zu denken. Bacall brauchte Ruhe und Erholung. Jeder weitere Schritt hätte ihn das Leben kosten können. Das wollte und durfte ich nicht riskieren. Außerdem – eine Verschnaufpause schadete uns allen nicht.
»Sie sind ein tapferes, zähes Mädchen«, sagte ich.
Die junge Frau lächelte schwach. »Der Schein trügt. Ich bin genauso kaputt wie die anderen.«
»Man merkt es Ihnen nicht an.«
»Ich kann mich gut verstellen.«
Prack betreute wieder seine Verlobte. Pavarotti redete auf die Leute ein, die ihn umgaben. Er versuchte, ihnen neuen Mut zu machen, malte die Zukunft mit rosigen Farben.
»Wie sehen Sie unsere Chancen, Mr. Ballard?« fragte das Mädchen. Ihr Vorname war Gloria. Ihre Bluse und ihr kurzer Rock hingen in Fetzen an ihrem wohlgeformten Körper.
Ich schaute sie nachdenklich an. »Möchten Sie die offizielle Version hören?«
»Ich möchte, daß Sie mir die Wahrheit sagen. Das, was Sie denken.«
»Wenn alle Frauen so tapfer durchhalten wie Sie…«
»Ja?«
»Dann kommen wir ganz bestimmt durch.«
Gloria schaute mich prüfend an. »Ist das wirklich Ihre ehrliche Ansicht?«
»Absolut. Davon bin ich überzeugt. Es sind nur noch acht Kilometer. Wir haben inzwischen gelernt, uns von diesem verflixten Wald nicht unterkriegen zu lassen…«
»Trotzdem hat uns der Dschungel müde und schwach gemacht. Wir kommen nicht mehr so schnell voran wie am Anfang.«
»Dafür machen wir aber auch nicht mehr all die kraftraubenden Fehler, die wir zu Beginn gemacht haben. Wohnen Sie in London?«
»Ja.«
»Sie werden Ihren Big Ben wiedersehen, das verspreche ich Ihnen.«
Die junge Frau lächelte matt. »Sie sind ein netter Kerl, Mr. Ballard.«
»Haben Sie einen Freund?«
»Ja. Er arbeitet beim Flugsicherungsdienst.«
»Lieben Sie ihn?«
»Sehr.«
»Sie werden ihn heiraten und ihm Kinder schenken. Und ich werde der Pate dieser Kinder sein, einverstanden?« Ich hielt dem tapferen Mädchen die Hand hin. Sie zögerte kurz. Dann aber griff sie rasch zu, als würde von diesem Händedruck das Überleben in dieser furchtbaren Wildnis abhängen.
»Einverstanden«, sagte sie und nickte hastig.
Später bewaffneten sich alle Männer mit armdicken Ästen. Dann schwärmten wir aus, um nach Nahrung zu suchen. Blätter, Wurzeln und Beeren trugen wir zusammen. Was wir fanden und für genießbar hielten, brachten wir heran. Auch Pilze legten wir auf das in der Mitte des improvisierten Lagers ausgebreitete Jackett. Jean Rossein sortierte aus, was ungenießbar war. Dann wurden gerechte Rationen ausgeteilt. Das übernahm ich.
Niemand beachtete Susan Boyd.
Die Dämmerung setzte ein. Der Abend kam. Mit dem Mädchen ging eine seltsame Wandlung vor sich. Sie hatte braunes Haar, ein hübsches, puppenhaftes Gesicht und braune Augen. Sie war ohne Begleiter unterwegs. Zumeist hielt sie sich im Hintergrund auf, ohne jemandem aufzufallen.
Deshalb sah niemand die Wandlung, die mit ihr passierte.
Ihre dunklen Augen wurden allmählich heller. Sie nahmen eine bernsteinfarbene Tönung an, fingen zu leuchten an.
Mit diesen seltsam veränderten Augen starrte das Mädchen Bruno Pavarotti an. Er saß so, daß er ihr den Rücken zukehrte. Doch plötzlich fühlte er den unheimlichen Blick des Mädchens. Etwas stach ihn förmlich in den Nacken.
Er wurde unruhig, wußte nicht, was ihn so nervös machte, gab zuerst der ungewöhnlichen Nahrung die Schuld.
Aber die Unruhe begann von Minute zu Minute mehr in seinem Inneren zu wuchern.
Nervös flog seine Hand hoch. Er kratzte sich am Nacken, wollte dieses unerklärliche Gefühl fortwischen. Allmählich wurde ihm heiß. Er beobachtete sich selbst, dachte an Fieber. Ein Wunder wäre es keines gewesen, bei diesen Myriaden von Mücken, von denen wir Tag und Nacht umschwirrt
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