GK446 - Der Geisterhenker
hier mit unserer Arbeit fertig sind. Danach ziehen wir weiter. Hamburg. Bremen. Dortmund… Alle Städte kommen dran.«
Der Geisterhenker wies mit einer herrischen Geste auf die Falltür. Er befahl seinen Knechten, den Delinquenten daraufzustellen. Poelgeest zitterten die Knie. War er wirklich verloren? Gab es tatsächlich keinen Ausweg mehr aus dieser schrecklichen Lage?
Wenn er erst mal durch diese Falltür sackte, war es aus und vorbei mit ihm.
Warum er? Warum ausgerechnet er? Wieso waren die Geisterknechte auf ihn gekommen? Es gab so viele Menschen, die im Sinne der Hölle viel mehr als er »verbrochen« hatten. Tony Ballard zum Beispiel.
Der Geisterhenker schien Gedanken lesen zu können. Wieder grinste er. »Alle kommen dran. Alle. Auch Tony Ballard. Wir wissen, daß er sich in Hannover aufhält, und wir sind froh darüber, daß er ohne seinen Freund Mr. Silver gekommen ist. Der Dämonenhasser wird ein leichtes Fressen für uns werden. Auch er wird an diesem Höllengalgen enden. So wie du. Aber jetzt bist erst einmal du dran, Frank Poelgeest.«
Hinter dem Gebüsch, hinter dem sich Oliver Kirste und Torsten Klenke versteckt hatten, war ein knackendes Geräusch zu hören. Oliver war auf einen dürren Ast getreten.
Er zuckte heftig zusammen.
»Bist du verrückt?« zischte Torsten.
Keiner von den Geistermenschen reagierte auf das Geräusch.
»Denkst du, ich habe das gern getan?« gab Oliver ärgerlich zurück. »Es ist mir passiert.«
»Wenn sich so etwas wiederholt, sind wir geliefert«, flüsterte Torsten.
Sie beobachteten, wie der Geisterhenker nach der Schlinge griff.
»Was sollen wir tun?« fragte Oliver mit überreizten Sinnen.
Torsten Klenke senkte den Blick. »Nichts, Oliver. Wir können nichts tun. Wenn die Geister merken, daß wir da sind, hängen sie uns auch auf.«
»Aber wir können doch nicht tatenlos zusehen, wie dieser Mann…«
»Es gibt keine Möglichkeit, ihn zu retten. Was willst du denn gegen Geister ausrichten?«
Der Henker schob die Schlinge über Frank Poelgeests Kopf. Die beiden Jungen sahen, wie die Todesangst den Mann schüttelte, und sie hätten ihn gern vor seinem furchtbaren Schicksal bewahrt, aber sie hatten nicht den Mut, hinter dem Busch hervorzutreten und sich für den bedauernswerten Delinquenten einzusetzen.
»Das… das ist Mord!« sagte Frank Poelgeest mit heiserer Stimme. »Dafür werdet ihr eines Tages alle büßen.«
»Mach dir um uns keine Sorgen«, gab der Geisterhenker zurück. »Wir sind gut abgesichert. Vor vielen hundert Jahren war hier schon mal eine Richtstätte, und nun wurde sie von uns neu geschaffen. Du stirbst auf historischem Grund. Ich hoffe, dir gefällt das.«
Dicke Schweißperlen glitzerten auf Poelgeests Stirn.
Er sah ein, daß er mit seinem Leben abschließen mußte.
Er dachte an zu Hause, an Amsterdam, an die Prinsengracht, in der er gewohnt hatte, an Truus Vorländer, mit der er sehr eng befreundet gewesen war und die er möglicherweise sogar geheiratet hätte. Er dachte an all die schönen Dinge, die er erlebt hatte und an all das Gute, das er getan hatte und das ihm nun zum Verhängnis geworden war.
Der Henker zog die Schlinge zu.
Die Geisterzuschauer warteten mit gespannten Gesichtern auf den entscheidenden Moment.
Der Henker ließ sich damit Zeit. Er kostete diesen Triumph der Hölle aus, weidete sich an der Angst des Opfers.
Frank Poelgeest blickte über die durchscheinenden Köpfe hinweg. Auf historischem Grund sollte er sterben. Was hatte das schon zu bedeuten? Er würde sein Leben verlieren, an dem er so sehr hing. Das war es, was ihn völlig fertigmachte.
Vor kurzem noch hatte er sich darüber gefreut, daß er Tony Ballards und Professor Selbys Bekanntschaft gemacht hatte, und nun stand er unter dem Höllengalgen und sollte sterben.
Ballard würde ihn nicht finden. Auf dessen Hilfe brauchte er nicht mehr zu hoffen. Selbst konnte er sich nicht helfen. Also war er verloren.
Oliver Kirste biß sich so fest auf die Lippe, daß er blutete. »Ich kann nicht… Verdammt, ich kann dabei nicht länger tatenlos zusehen!« sagte er heiser.
»Was hast du vor?« flüsterte Torsten Klenke beunruhigt.
»Ich versuche es wenigstens.«
»Dem Mann zu helfen?«
»Ja«, sagte Oliver. »Sonst läßt mir mein Gewissen bis an mein Lebensende keine Ruhe.«
Torsten schluckte. Was Oliver vorhatte, grenzte an Selbstmord. Dennoch entschloß er sich, den Freund die Sache nicht allein machen zu lassen. Sie waren Freunde, die durch dick und
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