GK446 - Der Geisterhenker
sich ausgerechnet den Richter geholt haben mag, hm?«
»Wolfram Wegner soll ein vorbildlicher Richter gewesen sein. Ein Gegner alles Bösen. Solche Menschen schätzt die Hölle nicht. Ich vermute, sie hat ihn deswegen aus dem Weg geräumt.«
Oliver zuckte plötzlich zusammen. Wie schon in der vorigen Nacht, vermeinte er wieder, eine Gestalt durch die Dunkelheit huschen zu sehen. Er biß sich auf die Lippe. »Ich glaube, jetzt geht es doch los«, flüsterte er. »Die Geister sind eingetroffen.«
Sie kehrten zu jener Stelle zurück, an der Oliver Kirste den Galgen gesehen hatte. Der Wind strich mit seinen Luftfingern über die Wipfel der Bäume. Es raschelte gespenstisch in den Gebüschen. Oliver hatte Angst vor der Wahrheit. Er wußte mit einemmal, daß er den Geisterhenker Wiedersehen würde, und das erfüllte ihn mit Furcht.
Wieder sollte ein Mensch sein Leben verlieren.
Am Galgen.
Schrecklich…
Aber wie sollte man das verhindern?
Torsten Klenke schob seinen Freund zur Seite. Er teilte die Zweige eines Busches mit beiden Händen, und dann sahen sie die Geisterszene!
***
»Jetzt glaube ich dir alles, was du erzählt hast«, flüsterte Torsten dem Freund zu.
»Du bist nicht leicht zu überzeugen.«
»Es hörte sich ja auch zu verrückt an, das mußt du doch zugeben. Außerdem war der Galgen verschwunden, als du ihn mir zeigen wolltest.«
»Aber jetzt ist er wieder da.«
»Ja, und ich kann ihn sehen.«
Schemenhafte Gestalten standen vor dem Podium: Das Publikum, das dem Geisterhenker bei seiner Arbeit Zusehen würde. Im Augenblick traf er seine Vorbereitungen für die Hinrichtung. Er stieg auf die Sprossen einer Holzleiter und warf den dicken Strick über den Querbalken. Jeder Handgriff war oft geübt. Der unheimliche Henker führte ihn ohne Eile durch.
»Wen will er denn diesmal aufknüpfen?« raunte Oliver Kirste.
»Der Delinquent ist noch nicht da«, gab Torsten Klenke leise zurück.
»Was machen wir, wenn er eintrifft?«
»Weiß ich noch nicht.«
»Wir können nicht einfach zusehen, wie der Geisterhenker das Opfer aufhängt.«
»Abwarten. Es wird sich alles ergeben«, meinte Torsten.
Die durchscheinende Menge wurde langsam unruhig. Sie wollte endlich etwas geboten bekommen. Der Geisterhenker stieg von der Leiter herunter und erweiterte die Hanfschlinge, damit er sie dem Delinquenten leichter über den Kopf streifen konnte. Dann stellte er sich daneben und verschränkte die kräftigen Arme vor der Brust.
»Jetzt kann es nicht mehr lange dauern«, flüsterte Oliver Kirste, und Torsten Klenke nickte gespannt.
***
»Was ist«, sagte Lance Selby. »Wandern wir einen Ast weiter? An der nächsten Ecke ist ein Lokal, das ein phantastisches Mitternachtsprogramm bietet.«
»Woher weißt du denn das schon wieder?« wollte ich wissen.
»Auf dem Weg hierher fiel mir ein Plakat auf, das eine echte Sensation ankündigte.«
Ich grinste. »Das dürfen wir uns auf keinen Fall entgehen lassen.«
»Sehr richtig.«
Wir erhoben uns, und da uns die Brünette und die Rothaarige im Hintergrund beobachteten, hakte ich mich bei Lance Selby unter und verließ mit ihm mit wiegenden Hüften das Lokal.
Draußen erlebten wir eine verdammt unangenehme Überraschung!
»Tony!« entfuhr es Lance.
Ich hatte schon gesehen, worauf er mich aufmerksam machen wollte: Zwei rot gekleidete Henkersknechte hielten Frank Poelgeest mit eisernem Griff zwischen sich fest.
Das Gesicht des Holländers glänzte.
Der Mann war erschöpft. Die Schergen hatten seinen Widerstand gebrochen. Aber als er mich erblickte, faßte er wieder neuen Mut.
»Mr. Ballard!« schrie er, und ich startete.
Frank Poelgeest bäumte sich auf. Er keilte mit den Füßen aus und traf die Geisterknechte auch, aber sie ließen ihn nicht los. Seine einzige Rettung war ich.
»Ballard!« schrie er wieder. Es klang verzweifelt. Verständlich.
Mit langen Sätzen hetzte ich auf die Gruselgestalten zu. Ich wollte ihnen den Holländer auf keinen Fall überlassen. Sie würden mit mir um ihn kämpfen müssen, und ich würde alles in meiner Macht Stehende daransetzen, um zu siegen. Vielleicht schaffte ich es schon, sie mit meinem magischen Ring auszuschalten. Wenn der nicht reichte, besaß ich noch einen Colt Diamondback, der mit geweihten Silberkugeln geladen war. Außerdem steckte ein magischer Flammenwerfer, der aussah wie ein ganz gewöhnliches silbernes Feuerzeug, in meiner Hosentasche, und um den Hals trug ich den Dämonendiskus, eine Waffe, die bisher alles
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