GK446 - Der Geisterhenker
Gestalten wandten sich um. Alle schauten in Olivers Richtung. Das war der Augenblick, wo auch Torsten aus seinem Versteck hervorflitzte. Während sich die Geister Oliver Kirste zuwandten, hetzte Torsten Klenke zum Höllengalgen.
Die durchscheinenden Gestalten bewegten sich, auf Oliver zu, der es gewagt hatte, den Ablauf der Hinrichtung zu stören. Sie bildeten eine grimmige Front gegen ihn, wollten ihn sich greifen.
Indessen hatte Torsten freie Bahn zum Galgen. Vielleicht schaffte er es, dem Delinquenten zu helfen, ihn zu retten.
Die Durchscheinenden stürmten auf Oliver zu, und damit weg vom Höllengalgen. Das war vielleicht eine Chance. Torsten wollte sie nützen. Er erreichte das Holzgestell und keuchte die Stufen hoch. Auf dem Podium standen der Geisterhenker mit seinen beiden Knechten.
Als Torsten oben auftauchte, wies der Henker mit ausgestrecktem Arm auf ihn und befahl seinen Schergen: »Packt den Frevler!«
Frank Poelgeest fing wieder an zu hoffen. Dieser mutige Junge war vielleicht doch noch seine Rettung. Aber er irrte sich. Es ging alles verdammt schnell. Die Schergen sprangen zwischen Torsten Klenke und Frank Poelgeest. Der Junge wagte sich nicht weiter. Er begriff, daß er verloren war, wenn ihn die Geisterknechte erst einmal ergriffen hatten.
Schon wuchteten sie sich ihm entgegen.
Er sprang zurück, und ihre Hände streiften ihn nur.
Sie griffen sofort wieder nach ihm. Abermals rettete er sich mit einem überhasteten Sprung, glitt an der Podiumskante ab und kugelte die Holzstufen hinunter.
Die Kanten hämmerten in seinen Körper. Er schrie wild auf, verlor seine Brille. Die Schergen folgten ihm. Er sah sie die Treppe herunterhasten. Atemlos kämpfte sich Torsten Klenke wieder auf die Beine. Der Rettungsversuch war mißglückt.
Jetzt war es eine Tatsache: Frank Poelgeest konnte niemand mehr helfen.
Während die Durchscheinenden Jagd auf Oliver Kirste machten und die Geisterknechte Torsten Klenke einzufangen versuchten, trat der Henker gemessenen Schrittes an den Falltürhebel. Seelenruhig legte er seine sehnige Hand darauf.
Der Holländer schwitzte Blut und Wasser. »Ich bitte dich, laß mir mein Leben!«
Der Geisterhenker schüttelte unerbittlich den Kopf. »Nichts zu machen, mein Freund. Das Urteil ist gesprochen. Es ist meine Aufgabe, es zu vollstrecken.«
Damit zog der Henker am Hebel, und die Falltür öffnete sich unter Frank Poelgeests Füßen…
***
Oliver Kirste rannte so schnell wie noch nie in seinem Leben. Er hatte die Meute der Durchscheinenden hinter sich. Sie schrien und kreischten. Sie wollten ihn nicht entkommen lassen, fächerten auseinander, versuchten ihm den Fluchtweg abzuschneiden. Von links wischten mehrere transparente Gestalten heran. Oliver Kirste kam sich vor wie ein Rugbyspieler. Er durfte sich auf keinen Fall erwischen lassen. Die Durchscheinenden warfen sich ihm in den Weg. Er stemmte sich gegen sie, rammte sie mit der Schulter zur Seite. Eigenartig. Sie hatten einen festen Körper. Damit hatte Oliver nicht gerechnet. Zwei von ihnen fielen zu Boden und überschlugen sich mehrmals.
Der Junge schlug einen Haken, um neuen Gegnern auszuweichen. Es war eine gefahrvolle Hasenjagd.
Viele Hunde sind des Hasen Tod! heißt es.
Oliver Kirste hoffte, daß ihm ein solches Schicksal erspart blieb.
Die aufgebrachte Menge ließ nichts unversucht, um ihn zu stellen. Obwohl das Blut in seinem Kopf hämmerte, hatte da auch noch eine Frage Platz: Wird Torsten es schaffen?
Hände berührten ihn.
Er schüttelte sie ab, jagte weiter. Einer der Durchscheinenden warf sich auf Olivers Beine. Aber der gelenkige Junge sprang über das lebende Hindernis und setzte die Flucht fort. Obwohl der Park nicht groß war, kam es Oliver vor, als wäre der Ausgang endlos weit entfernt. Und was war, wenn er ihn erreichte? Würden die Geister die Verfolgung dann aufgeben? Oder würden sie ihn durch die ganze Stadt hetzen? So lange, bis sie ihn hatten?
Oliver gab sein Bestes.
Die Angst beflügelte ihn.
Nur ganz langsam rückte der Parkausgang näher. Einige transparente Gestalten blieben zurück. Vier durchscheinende Männer bildeten die Spitze. Sie holten Oliver kurz vor dem Parkausgang ein.
Eine Faust traf seinen Rücken. Er bog das Kreuz nach vorn durch und stieß einen gequälten Schrei aus, stolperte und fiel. Sofort waren zwei Kerle über ihm und packten ihn. Sie zerrten ihn hoch und stellten ihn auf die Beine. Er keuchte schwer, schlug in die durchscheinenden Gesichter und riß sich
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