Glaesener Helga
Willens sei, schritt er durch das Türchen. Einen Schritt dahinter blieb er stehen und hob die Schnauze, als schnuppere er dem Angstschweiß nach, den Cecilia absonderte. Er drehte den Kopf und warf ihr einen langen Blick zu. Wahrscheinlich tat sie genau das Falsche, als sie zur Seite schaute. Keine Angst zeigen – guter Ratschlag, wenn einem nicht gerade das Herz die Brust sprengte.
Ein Bild blitzte in ihrem Kopf auf, dass sie in Wirklichkeit niemals gesehen hatte: Mario in einem Haus mit einer schmutzigen, stampfenden Maschine. Gefesselt. Vor ihm der gefleckte Gelbe …
Rossi sprach leise auf das Tier ein. »Komm, mein Guter …« Der Gute machte keine Anstalten, sein Maul zu öffnen. Signora Ferettis Gesichtsausdruck blieb unergründlich, in sanftem Tonfall wiederholte sie den Namen des Tieres. Cecilia blickte zum Hoftor und sehnte den Moment herbei, all das hier endlich hinter sich lassen zu können. Sie fror an den feuchten Flecken unter ihren Achseln. Auf Neptuns steinernem Gesicht ruhte ein Sonnenfleck, so dass es aussah, als trüge er eine goldene Augenklappe.
Ein hartes, knappes Bellen schnitt durch kalte Luft, ein Laut, der Cecilia durch jeden Nerv fuhr und eine neue Hitzewelle auslöste. Sie spürte ihr Herz aussetzen. Aus den Augenwinkeln sah sie einen Schatten auf sich zuspringen – dann wurde ihr schwarz vor Augen.
»Es tut mir leid. Es tut mir entsetzlich leid.«
Ein unangenehmer, wenn auch vertrauter Geruch stieg Cecilia in die Nase. Urin. Ihr wurde schlecht vor Scham, als sie begriff. Und Rossi war Zeuge geworden. Er … Signora Feretti … Ich hab mich nassgemacht wie ein Baby. Lasst mich sterben!
Man hatte sie auf eine Chaiselongue gebettet, die mit blassgelben Rosen bestickt war und ebenfalls roch wie ein Nachttopf. Ja bitte, sterben …
Eine knöcherne Hand mit einem olivfarbenen Fläschchen tauchte vor ihrer Nase auf, und der Geruch von Lavendel überdeckte den Uringestank. »Nein, nein …« Sie brauchte kein Riechsalz. Sie wollte fort und die Kleider wechseln und vergessen, dass es diesen Tag gegeben hatte.
»Das Tier ist unberechenbar. Ich werde von Signore Feretti verlangen, es zu erschießen.«
Cecilia befand sich in einem Zimmer, das zweifellos einer Dame gehörte – eine Art Boudoir. Geblümter Samt hing an den Fenstern, auf die Wand war in Trompe-l’œil-Manier ein Panoramabild gemalt, das einen Garten mit Laube und durch ein ebenfalls gemaltes Fenster den Blick auf Rehe, Häschen und andere Niedlichkeiten vortäuschte. Auf einem runden Tischchen in einer Zimmerecke stand ein Käfig mit einem gelbköpfigen Nymphensittich, der aufgeregt trillerte. Im Kamin – kein Marmor, sondern gemütlicher, grauer Stein – flackerte ein Feuer.
»Trinken Sie«, bat Signora Feretti und bot Cecilia ein Glas mit dunkelrotem Wein an, der das Licht des Kaminfeuers spiegelte. Als ihr Gast den Kopf schüttelte, setzte sie es auf einem Tischchen ab. Cecilia richtete sich auf. Der Rattanbogen ihres Reifrocks hatte sich in ihr Fleisch gedrückt, und ihr tat die Hüfte weh. Außerdem hatte sie sich die Hand geprellt, und … Ein Hund hatte sie gebissen.
Nur gab es keine Bisswunde, so erschrocken sie auch nach dem Schmerz spürte. Ihre aufgeschürfte Hand brannte – das war alles.
»Tiere haben einen Charakter«, erklärte Signora Feretti schuldbewusst. »Und dieser Hund … war immer schwierig.«
Hieß schwierig blutrünstig? Bereit, jemanden totzubeißen, wenn Herrchen es befahl?
»Giudice Rossi ist schnell mit dem Messer bei der Hand, wer hätte das gedacht?«, meinte die Signora. Es klang verwundert und ein bisschen nach Sympathie.
»Er hat ihn getötet?«
»Das war nicht nötig. Amata ist heimtückisch, aber nicht mutig. Er hat sie angefahren, und sie ist in den Zwinger zurück.«
Amata? Die Schwarze also, nicht der gefleckte Rudelführer?
Cecilia richtete ihre Röcke. Der Stoff war trocken. Ihre Beine, die sie gegeneinanderrieb, fühlten sich ebenfalls trocken an. Als Signora Feretti sich vorbeugte, stieg Cecilia eine stinkende Wolke in die Nase. Die Signora also war es, die das Wasser nicht halten konnte. Probleme mit der Blase – das erklärte auch, warum dieses Zimmer, nun ja, durchtränkt war … Cecilia verbot sich das Nachsinnen über das heikle Thema und griff, beschämt von ihrer Erleichterung, schließlich doch noch nach dem Wein.
Durch das offene Fenster drangen Stimmen. Eine empörte, die sich beschwerte, und eine leise, deren Antworten man kaum vernahm. Das war sicher Rossi. Er hatte den
Weitere Kostenlose Bücher