Glaesener Helga
habe es zugelassen. Darin liegt meine Schuld. Dass ich es zugelassen habe, obwohl ich es nicht wollte. Wenn man etwas nicht will, sollte man nein sagen. Das lernt ein Mädchen nicht. Warum gehört das Nein nicht auf den Stundenplan der Gouvernante? Ich schreib’s an die Babette . Erweitert das Vokabular der Frauen. Nein … nein … Plötzlich tat ihr der Unterleib weh, als würde diese Unaussprechlichkeit von Neuem in sie eindringen. Als würde sie von Neuem als Nachttopf benutzt für den Abfall aus seinen Lenden.
Inghiramo löste sich von der Gruppe.
»Du hast recht, wir gehen.« Cecilia setzte das Glas auf dem Konsoltisch an ihrer Seite ab. Der Wein schwappte über. Sie griff nach Rossis Arm, und er geleitete sie zur Tür. Inghiramo wich ihnen aus wie ein Schiffchen, das von der Bugwelle eines größeren Schiffes beiseite gedrückt wird. Danke, Rossi.
»Was?«
»Ich habe nichts gesagt.«
Rossi redete mit einem Lakaien, der ihnen über den Weg lief, und wenig später wurden ihre Mäntel gebracht.
»Richten Sie Signora Secci aus, dass Signorina Barghini Kopfschmerzen bekommen hat.«
Er schwieg, als er sie in der weißen Kutsche heimbrachte zu ihrer neuen Wohnung. Dafür war sie ihm dankbar. Hatte er erraten, dass Inghiramo der Mann war, dem sie das Ende ihrer Jugend verdankte, ihre Schwangerschaft und die schreckliche Nacht auf dem Abort, als sie in einem Schwall von Blut ihr Kind verlor? Sie nahm es an.
»Ich finde allein hinein«, sagte sie, als er den Schimmel vor der Bank in der Via Guelfa zügelte. Er schien davon nicht überzeugt, denn er begleitete sie durch das Tor mit dem immergrünen Efeu. Cecilia fummelte in ihrem Ridikül nach dem Schlüssel, bis er es ihr abnahm. Er förderte das Benötigte zutage und öffnete die Tür.
»Besten Dank. Und adieu.«
Er half ihr auch die Stufen im Hausflur hinauf. Es roch nach Kampfer und war dunkel.
Oben angekommen, öffnete er die Wohnungstür. »Den Schweinehund jetzt aus der Stadt zu werfen, würde bedeuten, die Maschinerie der Klatschmäuler erst recht in Bewegung zu setzen, stimmt’s?«
Cecilia lachte hohl.
»Ist wirklich alles in Ordnung?«
»Ja.« Sie schob ihn fort und verschloss hinter ihm die Tür. Willkommen in deinem neuen Heim, Cecilia Barghini. Du bist ein Glückskind. Die Männer lieben dich. Sie schenken dir ihren Samen und die Miete für die Wohnung.
Dann musste sie sich übergeben. Zum Glück hatte sie den Nachtstuhl aus rotem Samt noch nicht in die Abstellkammer verbannt. Zum Glück fand sie ihn auch ohne Licht.
»Signorina Barghini!«
Irene stand erschrocken in der Tür, in einem weißen Nachtgewand, das sie aussehen ließ wie ein Gespenst. Sie brachte ihrer Herrin ein Glas Wasser und half ihr ins Bett. Außerdem entfernte sie die Schüssel mit dem Erbrochenen aus dem Nachtstuhl, was wirklich ein Segen war.
Am folgenden Tag schwänzte Cecilia den Kirchbesuch. Sie schickte Irene, aber selbst setzte sie sich an den kleinen Tisch im Salon. Sie hatte einen Entschluss gefasst in dieser langen Nacht, in der sie nicht eine Sekunde geschlafen hatte. Sie würde für ihren Unterhalt zu arbeiten beginnen, so wie Francesca. Die Meinungen der Babette , die Zeitung aus Neapel für das gebildete Frauenzimmer, hatte bisher fünf ihrer Artikel abgedruckt und wartete auf mehr. Wenn sie sich Mühe gab, und vielleicht wöchentlich schrieb … So verdienten sich doch auch Männer den Unterhalt, indem sie arbeiteten.
Signora Secci, die Ältere, hatte eine hübsche Schreibgarnitur mit einem blassgrünen, noch halb gefüllten Tintenfass, einer vergoldeten Feder und mehreren Bögen reinweißen Papiers hinterlassen. Cecilia tunkte die Feder in die Tinte und überlegte. Ein Artikel, der sich mit der Bedeutung des Wortes Nein befasste? Ausgeschlossen, sie wollte das Papier ja nicht mit Tränen tränken. Dafür der andere Skandal, der sie immer noch wurmte. Die Worte begannen zu fließen.
Seltsames über das Eheleben
In Montecatini , dem kleinen Ort im Herzen der Toskana , kam es kürzlich zu einem Streit vor Gericht . Der Seiler Tullio G ., verheiratet mit der hübschen , wenn auch einfältigen Elvia G ., entbrannte nach etlichen Ehejahren in Leidenschaft zu seiner Nachbarin Giovanna M . Die Dame ließ sich von seinem Liebessäuseln umgarnen und stimmte einer Liaison d’amour zu , in deren Verlauf Tullio sie mit galanten – und teuren – Gunstbeweisen überschüttete . Als Elvia G . von dieser Liebschaft Kenntnis bekam , übermannten sie verständlicherweise Kummer und
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