Glashaus
ausgerechnet zu mir, damit ich für euch den Deckel auf den Topf halte?“
„ Sie sind nicht der einzige, Premuda. In ungefähr `ner halben Stunde gehen unsere Leute auch zu den Mullahs und den Russengangs.“
Bei allem, was an Differenzen zwischen Boyle und dem Alten in seinem Nest aus Kamelhaar stehen mochte – in einem Punkt musste Boyle ihm trotz allem Recht geben: Das Präsidium sollte nicht ausgerechnet die Creme de la Creme der stadtbekannten Aufputscher und Gangster um Ruhe auf den Straßen bitten müssen.
„ Bestell ihnen, dass ich es versuchen werde. Aber sag ihnen auch, dass ich es nicht für sie tue, sondern nur für meine Leute. Aber versprecht euch nicht zuviel davon. Ihr habt diese Kinder da draußen in den Hochhaussiedlungen schließlich selbst auf den Müll geworfen. Die hatten ihr ganzes Leben Zeit ihre eigene Auffassung von Gerechtigkeit zu entwickeln. Dreißig Jahre habt ihr die Welt mit `nem Supermarkt verwechselt, aus dessen Regalen man Leute greifen kann wie Fertigreis. Ihr habt ihre Väter und Großväter hergeholt und in eure Fabriken gesteckt, aber danach wolltet ihr einfach vergessen, dass sie, wenn sie schon hier bleiben, irgendwann auch Familien und Kinder haben werden, um die sich irgendeiner kümmern muss. Oder, wenn man sich schon nicht um sie kümmert, ihre Art zu leben dann wenigstens anerkennen muss.“
Zorn wallte in Boyle auf.
„ Sieh mich an, alter Mann – sieh mich an und sag mir noch mal ins Gesicht, dass Deine jungen Leute in den Ghettos nie eine Chance gehabt hätten, nur weil sie Türken, Schwarze oder Russen sind!“
Der Geruch des dürren Vogels nach Leder, Tod und kaltem Medikamentenschweiß löste in Boyle Brechreiz aus.
„ Wer bist Du schon, dass Du irgendwem als Vorbild dienen könntest? Ein Mann, der seine eigenen Leute für MEIN Geld verraten hat.“
Die Tür des Lexus, die mit einem unerträglich satten Geräusch ins Schloss fiel.
„ Ich bin, was ich bin. Du bist, was Du bist, Bulle“, hatte der dürre alte Vogel geflüstert.
Ich bin vielleicht ein Verräter, dachte Boyle. Doch Du alter Mann, bist schlimmer als das – Du bist derjenige, der den Verräter bezahlt hat.
Doch als sein blinder Zorn über den Alten allmählich abklang, genügte ein einziger Augenblick bis ihm klar wurde, dass es Angst gewesen war, was ihn all die Jahre angetrieben hatte. Die Entscheidung für den Polizeidienst, seine Karriere, die Jahre auf der Straße, schließlich der Deal mit Premuda und dessen Überfall auf die beiden Undercoverfahnder – das alles hatte er aus Angst getan. Und es war die Angst des pummeligen Jungen mit den großen blauen Augen, der dunklen Haut und den krausen Haaren, der sich auf dem Schulhof inmitten einer Meute Kinder gelähmt vor Furcht auslachen und anspucken ließ, weil er nicht war wie sie und ein für allemal gerade eben kapiert hatte, dass nichts jemals irgendetwas daran ändern konnte.
Sascha und Teddy Amin warteten vor dem Eingang zum Club auf ihn. Sobald er sie entdeckte, hatte Boyle das Gefühl aus transparentem Glas gemacht zu sein: Beinah so hart wie Diamant, aber doch auch so spröde, dass ein einziger mit genügend Kraft und Mut geworfener Kieselstein genügen konnte, um ihn in tausende Splitter zu zerbrechen.
„ Ein Mann namens Tommy Graf hat angerufen. Er sagte, er wüsste, dass Du hier auftauchen würdest.“
Saschas Blicke, die vergeblich in Boyles Gesicht nach irgendeiner Reaktion suchten.
„ Er meint es hätte den dritten Jungen von diesem Foto erwischt. Er will, dass Du ihn zurückrufst.“
Teddy hatte Sascha seine Jacke umgehangen. Merkwürdig, wie diese blöde Jacke den Nuttenfummel, der ihm vorhin so heftig aufgestoßen war, neutralisieren konnte.
„ Was hat der Alte gewollt?“
Teddy steckte sich eine Kippe an und sah wieder einmal stur an Boyle vorbei. So als interessiere ihn gar nicht, was er auf seine Frage antwortete.
„ Später. Zuerst brauch ich `n Telefon.“
Boyle warf Münzen in den Schlitz des Telefons auf der Theke des Clubs und wählte. Irgendwo aus dem Augenwinkel heraus sah er Sascha, die über den Witz irgendeines Typen in einer teuren Jeans lachte.
„ Graf.“
„ Boyle. Woher wusstest Du, wo ich bin?“
„ Komm runter, Mann. Einfach jeder weiß doch, dass Du was mit der blonden Russin in dem Laden hast.“
Boyle fragte sich wer konkret einfach jeder sein sollte.
„ Den dritten Jungen von dem Foto hat es erwischt. Auf nem Parkplatz vor `ner Disko. Es gibt jede Menge Zeugen. Wir
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