Glashaus
zu einem wirklichen Mord jede Menge Talent gehört. Das ist nix für Amateure.“
Boyle nickte zerstreut und lenkte den BMW um einen Lieferwagen herum auf einen ausgestorbenen Supermarktparkplatz, an dessen Rand verloren einen Telefonzelle leuchtete.
„ Was wird das hier?“, fragte Teddy blinzelnd.
„ Ich ruf einen alten Kumpel an.“
Teddy warf einen Blick auf die Uhr im Armaturenbrett.
„ Es ist 4 Uhr morgens. Dein Kumpel hat hoffentlich Humor.“
Doch Boyle war schon draußen und halb bei der Zelle.
In der Zelle sah Boyle zu wie sein letztes Kleingeld im Schlitz verschwand, wartete dann auf das Freizeichen und wählte.
Zehn Sekunden Klingeln. Zwanzig. Dann ein Klicken und ein Rülpsen.
„ Grosser.“
Der Mann, dem die tief rauchige Stimme gehörte, lebte in einem schmucken kleinen Haus am Rande der Prinsengracht in Amsterdam. Boyle wusste, dass er sich um zum Telefon zu kommen seinen Weg durch überall im Haus verstreute Bücher und Zeitschriftenstapel hatte bahnen müssen, und es nichts Ungewöhnliches gewesen wäre, wenn sich zwischen den Büchern auch noch Stapel schmutziger Teller und Töpfe befunden hätten.
„ Boyle hier. Hab ich Dich geweckt?“
Ein Hustenanfall.
„ Hast Du, aber macht nix. Ist vier Uhr früh.“
„ Ich brauch Deine Hilfe. Was weiß der BND über einen Kerl namens Halif Kahn, hier in der Stadt.“
Wieder ein Hustenanfall.
„ Dauert `n Stück, mein Freund. Ich ruf Dich zurück.“
„ Nein, ich ruf Dich zurück. Du hast zwanzig Minuten.“
„ Eine halbe Stunde.“
„ Zwanzig Minuten.“
Boyle hängte ein.
Teddy hatte den Sitz ganz nach hinten geschoben, den Kopf auf die Arme gelegt und hielt die Augen geschlossen als Boyle zum Wagen zurückkehrte.
„ Was jetzt?“
„ Wir warten.“
Boyle steckte sich eine Zigarette an und angelte nach der Vermisstenliste auf dem Rücksitz.
„ Und damit uns nicht langweilig wird sehen wir mal wen wir hier auf der Liste so kennen.“
Boyle ließ eines der beiden Papiere auf Teddys Bauch fallen.
Teddy griff sich das Papier warf einen Blick darauf und rutschte herum.
„ Wen hast Du angerufen?“
„ Den BND - über Umwege.“
„ Den BND?“
„ Den BND. Jetzt sieh Dir endlich die Liste an wir haben nicht ewig Zeit.“
„ Aber sicher, Massa.“
Boyle hasste Teddys MASSA fast noch mehr als das von Tommy Graf, aus dem neben der Ironie wenigstens immer noch so was wie professioneller Respekt herauszuhören gewesen war.
„ Lass diesen Massascheiß oder ich polier Dir deswegen noch mal die Fresse.“
„ Aye Massa.“
Boyle grunzte und vertiefte sich in die Liste. Doch es war Teddy der einige Minuten darauf zuerst auf einen bekannten Namen stieß.
„ Na Hallo … der gehört aber hier ganz bestimmt nicht hin“, flüsterte er mehr zu sich selbst als an Boyle gewandt.
„ Wer?“
„ Anatoli Ryschkow.“
„ Wer ist Anatoli Ryschkow…?“
„ Gegenfrage: Wer vertickt in der Stadt das meiste Dope? Dope, nicht H, Koks oder Chemie.“
„ Du - dachte ich immer.“
„ Falsch - Anatoli Ryschkow. Der bringt es aus Pakistan über die Türkei und Holland hier herein. Und eines steht mal fest, er ist falsch auf der Liste, weil ich ihn vor `n paar Stunden noch in meinem Club gesehen hab.“
„ Anatoli Ryschkow? Wieso kennt den keiner im Präsidium wenn er angeblich so `ne große Nummer ist?“
„ Weil er clever ist. Und außerdem …“, Teddy versank in konzentriertes Schweigen.
„ Was?“
„ Er hat mir erzählt, er habe hier in der Stadt ein bisschen Asche angelegt.“
Boyles Kopf zuckte zu Teddy herum.
„ Was bedeutet `n bisschen Asche für `n Typen wie Anatoli Ryschkow?“
Teddy hüstelte.
„ Als er zum letzten Mal von `nem bisschen Asche sprach hatte er in Berlin gerade zwei Hotels gekauft. Eines am Kudamm, das andere irgendwo im Osten.“
„ Wer hat ihn vermisst gemeldet?“
„ Das ist der Punkt: seine Frau.“
„ Und?“
„ Er hat keine Frau. Er lebt allein.“
„ Wie sieht der Kerl aus?“
Teddy starrte Boyle eine Sekunde an, schüttelte dann unmerklich den Kopf.
„ Wie `n Russe eben. Er ist fünfunddreißig, eins dreiundachtzig, fit und hat braune Haare.“
„ Du Blödmann.“
Boyle griff sich Teddys Teil der Liste und fuhr eilig mit dem Finger die eng gedruckte Reihe der Namen und Daten herab bis er zu Anatoli Ryschkow gelangte.
Geboren in Leningrad, heute Sankt Petersburg, Russland, vor sechsunddreißig Jahren, aber seit zehn Jahren deutscher Staatsbürger und nunmehr
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