Glashaus
geklauten Aktendeckeln im Aktenschrank hingen.
Boyle hatte sich nach dem Bücherregal die Schreibtischschubladen vorgenommen. Doch war auch dort auf weiter nichts als pingelig genau übereinander angeordnetes Briefpapier, Ersatzkugelschreiber, Tesafilm, Druckerpatronen und anderen Kleinkram gestoßen.
Schließlich glitt sein Blick über die Tischplatte. Ein Rolodex-Verzeichnis, das er bereits durchgesehen hatte, eine lederne Schreibunterlage, zwei Kugelschreiber, ein Packen geöffneter Briefe mit dem Logo einer Privatbank. Ein weißer Streifen, der ein paar Millimeter unter dem Rand der Schreibunterlage hervorsah erregte Boyles Aufmerksamkeit. Passt gar nicht zu Tommy, dachte er, irgendetwas unter die Schreibunterlage zu schieben.
Nach einem misstrauischen Blick auf den immer noch mit Tommys Privatpapieren beschäftigten Haffner sah er sich an was da unter der Schreibunterlage hervorsah.
Die Karte eines Swingerclubs namens Chateau , dessen Logo ein in einer Umarmung verschlungenes Pärchen zeigte. Das Pärchen bestand aus einem Mann und einer Frau .
Merkwürdig - was sollte ausgerechnet der homosexuelle Tommy mit der Karte eines Hetero-Swingerclubs? Und wieso gab eigentlich jeder halbseidene Typ in dieser Stadt seiner Bumsbude immer einen französischen Namen?
Boyle drehte die Karte um, eine Telefonnummer in einer gestochen scharfen Frauenhandschrift und daneben zwei weitere Zahlen: 67.
„ Hast du was?“
Haffner sah von Tommys Papieren auf.
„ Bloß `ne Visitenkarte von irgendeinem Versicherungsfritzen.“
Boyle knüllte die Visitenkarte zusammen und ließ sie scheinbar in den Papierkorb fallen.
„ Hier ist auch nichts.“
Haffner wandte sich wieder den Papieren zu.
„ Lassen wir es und rufen die Spurensicherung. Ich glaub zwar nicht, dass die mehr finden als wir. Aber wenigstens können sie sich um seinen Computer kümmern und die letzten Telefonate überprüfen, die er geführt hat.“
Boyle ließ die Visitenkarte heimlich in seiner Tasche verschwinden.
Ein misstrauischer Blick auf den über Tommys Papiere gebeugten Haffner.
„ Ich krieg alles, was die vielleicht doch noch finden, zur selben Zeit wie Du?“
Boyles Blick verhakte sich in Haffners kühle Insektenaugen.
„ Unter der Voraussetzung, dass alles, was hier besprochen wurde, unter uns bleibt und ich jederzeit erfahre, was Deine Ermittlungen ergeben haben.“
Haffner gab sich entwürdigend wenig Mühe zu lügen.
„ Du zur selben Zeit wie Becker, in Ordnung?“
Was immer Haffner vielleicht gefunden hatte - Boyle vertraute darauf, dass er es von Becker erfahren würde.
„ In Ordnung.“
„ Was ist mit Stolze?“
„ Bleibt wo er ist bis der Kanake gefasst ist. Dann steck ich ihn vorläufig in den Innendienst und beantrage eine Telefonüberwachung.“
„ Dazu brauchst Du einen Richter.“
„ Ich frage Schmitt. Ich kenne ihn. Er wird dichthalten.“
„ Keiner erfährt was davon?“
„ Nur ich, Du, der Richter und Becker.“
5 Uhr 51 . Immer noch Felder neben der Straße, ab und zu unterbrochen von einer Insel aus zerzausten alten Bäumen.
„ Ich muss pissen. Echt. Tut mir leid.“
Younas warf dem Jungen neben ihm einen misstrauischen Blick zu. Immerhin hatte er bereits die letzten fünf Minuten hindurch nervös seine Beine auf dem Sitz aneinander gerieben und einen etwas gequälten Ausdruck in den Augen.
„ Mach Warnblinker an. Ich komme mit.“
Der Junge lenkte erleichtert den Wagen an den Straßenrand, betätigte den Warnblinker und stieg aus.
Younas hatte die Waffe erhoben und hielt sie hinter der Windschutzscheibe weiterhin auf den Jungen gerichtet als der sich auf den Weg um die Motorhaube herum machte.
Beide nebeneinander standen sie dann am Straßenrand. Betreten versuchte Younas, während der Junge seinen Schwanz herausholte, an ihm vorbei zu sehen - und das blieb auch so bis der Junge ihn wieder unter Shorts und Jeans verpackt hatte.
„ Es ist nicht, dass es wehtut, Vater. Es ist nicht mal … dass ich … jetzt nicht mehr … unschuldig bin.
Es war der Hass, verstehst Du?
Ich habe ihn in ihren Augen gesehen … als … sie … na ja … als sie ES taten.
Sie kannten mich nicht mal. Und trotzdem dieser Hass. Woher kann der nur gekommen sein?
Ich habe solche Angst. Sie sind draußen. Ich weiß es. Sie warten. Und es sind noch mehr davon dort.
Ich hasse dieses verdammte Land, Vater. Ich hasse es. Aber vor ein paar Stunden hab ich nicht mal gewusst, was das ist: Hass.“
Zwecklos ihre Stimme
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