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Glattauer, Daniel

Glattauer, Daniel

Titel: Glattauer, Daniel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Weihnachtshund
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vorgesetzt hatte: »Ich will dich nicht küssen,
ich will mit dir schlafen!« - Das war das Kapitel Pia.
     
    Bei
Patrizia ging Max die Sache von vornherein klüger, nämlich »darüber« an. Sie
arbeitete als Anzeigenverkäuferin in »Horizonte« und genoss dort den Ruf, den
»One-Night-Stand« erfunden beziehungsweise auf »One-Night-Double-Stands«
ausbaufähig gemacht zu haben. Sie lernte Männer nicht kennen, indem sie sich
bei ihnen vorstellte, sondern indem sie mit ihnen Sex hatte. Reden konnte man
nachher immer noch.
    Patrizia
wählte sich ihre Liebschaften nach strengen Prinzipien körperlicher Hygiene,
modischen Bewusstseins, charismatischer Unerschrockenheit und beruflichen
Erfolges aus. Sie konnte es sich leisten zu wählen. Es war eine der höchsten
Ehren der Männer in »Horizonte«, von Patrizia genommen worden zu sein. Für
manche Herren war das, laut eigenen Angaben, der Höhepunkt ihres Sexuallebens
überhaupt.
    Max
verdankte seine Nominierung Kurt, besser gesagt Kurt I, als er noch lebte und
turnte. Patrizia liebte »In den Wind gesabbert« und lud Max nach Erscheinen der
dritten Kolumne spontan zu sich ein: Danach gebe es noch ein mehrgängiges Menü,
versprach sie, um den Anreiz zu verdoppeln und um Max zu zeigen, dass er an
diesem Abend der Einzige bleiben sollte.
    Die
sexuellen Details hatte Max später nicht mehr in Erinnerung. Sie wurden Opfer
der Verdrängung aufgrund eines wenig später eintretenden grauenvollen
Ereignisses. Jedenfalls ging es zunächst wild und stürmisch her, die nackten
Körperteile flogen durcheinander und überschlugen sich. Und Patrizias Zunge
war lange Zeit erfreulich weit von seinem Mund entfernt. Aber dann verfing er
sich in dieser unsäglichen, weltweit maßlos überschätzten Missionarsstellung
und fühlte sich plötzlich wie eine Stabbatterie unter Hochspannung: unten
zunehmend positiv geladen. Oben, auf Kopfhöhe, bereits bedrohlich negativ. Denn
die heftig rüttelnde, bebende und stöhnende Patrizia presste plötzlich ihre
Lippen auf seinen Mund und öffnete diesen mit harter Zunge.
    Max'
Ausbrüche kamen gleichzeitig. Der gellende »Jaaaaa-Neeeein« Schrei galt beiden
seiner entladenen Pole. »Bist du gekommen?«, fragte Patrizia routinemäßig.
»Zweimal«, röchelte Max. wahrheitsgetreu, wobei ihm ein dritter Schub gerade im
Hals steckte. Er musste sofort das Badezimmer aufsuchen und verließ es erst
eine Stunde später wieder. Inzwischen überlegte er, wie er die ihm bevorstehende
Frage, warum ihm auf einmal schlecht geworden sei, beantworten könnte. »Warum
hast du dich gleichzeitig angespieben?«, fragte Patrizia angewidert. »Törnt
dich das etwa an?« - »Aber nein, ich muss nur an etwas Schlechtes gedacht
haben«, erwiderte Max. - Das war das Kapitel Patrizia.
     
    Max waren
noch einige andere zwischenmenschliche Erlebnisse dieser Art vergönnt, ehe er dahinterkam,
sie sich künftig allesamt sparen zu können. Denn die Erfahrung lehrte ihn:
Gelebte Liebe war ohne beinahe alles möglich - ohne Sex und Leidenschaft, ohne
Freundschaft und Interesse, ohne Zweck und Sinn, ohne Geld und Achtung, selbst
ohne Zukunft. Nur nicht ohne Zungenkuss.
    Somit
handelte er seine potenziellen weiteren Kapitel in Albträumen ab - und
konzentrierte sich lieber auf das Wesentliche. Im vorliegenden Fall: auf seine
organisierte Flucht vor Weihnachten, der schlimmsten Zeit für einen latent
Liebenden, der nicht küssen konnte.
     
    Am trüben
Tag der Nikoläuse mied er die drei Büros. Er blieb daheim und lud aus dem
Computer achtzig Seiten Information über die Malediven herunter. Hin und wieder
warf er Kurt, der unter seinem Sessel lag und das Treiben seines Herrls
apathisch beobachtete, hochmütige Blicke zu. Hin und wieder untermauerte er
diese mit Worten wie: »Ich fliege weg, und du bleibst da!« - Kurt strafte ihn
mit seiner größten Stärke, der Ignoranz.
     
    7.12.
     
    Der Tag
startete mit einer guten und einem Konzentrat von schlechten Eigenschaften. Die
gute: Es war Freitag und freitags hatte Katrin niemals Ordination. Vor zwei Jahren
war sie knapp vor der Kündigung gestanden. Sie sagte: »Herr Doktor Harlich,
wenn ich fulltimemäßig als Augenärztin arbeite, dann möchte ich bitte nicht
wie eine Hilfsassistentin im Probemonat bezahlt werden.« - »Schönes junges
Fräulein«, erwiderte der Arzt ergriffen, »fulltimemäßig ist ein entsetzlicher
Ausdruck. Ich will nicht, dass Sie solche amerikanisiert eingedeutschten
Modewörter in meiner Ordination

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