Glatze mit Sommersprossen
auf der Welt gleich war. Es duftete nach Rechenaufgaben, Angstschweiß, Tränen, Papier, ausgestopften Vögeln, Bohnerwachs, Kreide und den Schweißfüßen des Hausmeisters.
Heiliges Kanonenröhrchen, wenn ich an Herrn Schütze, meinen Mathematiklehrer (komischerweise „der Malerische“ genannt), dachte, überzog mich noch heute Gänsehaut.
Die Holzstufen knarrten unter meiner „Gewichtigkeit“. Von oben drangen Gesang, Geschrei und Lachen herunter, und in irgendeiner Ecke quälte jemand eine unschuldige Blockflöte.
„Zweiter Stock, das dritte Zimmer links auf der rechten Seite!“ Mit diesen Worten hatte mir Herr Schaifele den Weg zu seinem Wirkungsbereich erklärt. Der Zeitpunkt meines Auftrittes sollte 8.15 Uhr sein.
Ein Blick zur Uhr: 8.12 Uhr. Jawoll, beim spinnebeinigen Bonifatius, was ein richtiger Meisterdetektiv ist, der muß nicht nur pünktlich essen, der muß auch pünktlich zum Treffpunkt kommen...
Mit dem Lehrer war ausgemacht, daß er der Klasse nichts von dem Vorkommnis erzählen sollte. Ich hoffte nun, daß er sich auch an diese Abmachung gehalten hatte.
„Mach mir keine Schande, Pinsel! Kein Bellen und kein Knurren! Verstanden?“
„Wau!“ blaffte Pinsel leise, und sein Stummelschwänzchen winkte kurz Verstehen und Zustimmung. Ich klopfte!
Viktor Schaifele rief „Herein!“, und schwups, schon waren wir drin!
Zweiunddreißig Augenpaare und ein Lehrerblick waren auf Pinsel und mich gerichtet. Es war plötzlich still wie in einer leeren Kirche. Herr Schaifele, dessen Bügelfalte heute so scharf war, daß man damit hätte Tomaten schneiden können, setzte eine Verschwörermiene auf und erhob sich.
Mit ausgestreckter Hand kam er auf mich zu, und er begrüßte mich mit solchem Eifer, als wäre ich der Kultusminister höchstpersönlich.
Nach einer geheimnisvollen Schweigepause und einem langsamen Rundblick über die drei Bankreihen stellte er mich seinen Schülern vor:
„Das, liebe Jungs, ist der berühmte Detektiv Herr Balduin Pfiff.“
Ei der Daus, einige schienen das nicht glauben zu wollen, für einen Witz zu halten, denn sie grinsten und feixten und gaben sich keinerlei Mühe, zu verbergen, was sie dachten. Vielleicht ein Buchhalter ist das, vielleicht ein Koch oder ein Zigarrenhändler, ein Milchmann oder ein Vorspeisenausprobie-rer, aber doch niemals ein Detektiv...
Und einer der Bengel, er saß vorn rechts und war Eigentümer von mindestens hundertzwanzig Sommersprossen, flüsterte seinem Nebensitzer zu: „Detektiv mit Schmerbauch!“ Er flüsterte es so laut, daß man es bis zur letzten Bankreihe hörte. Die Folge war ein unterdrücktes Gekicher auf der einen Seite und ein entrüstetes Schnaufen des Herrn Schaifele auf der anderen Seite.
„Nur keine Aufregung!“ hauchte ich ihm zu. Dann ließ ich die Sonne auf meinem Gesicht aufgehen und marschierte zur Bank des Sommersprosseninhabers. Der versuchte, seine Verlegenheit durch ein breites Grinsen zu überspielen. Nur zögernd schlug er in meine ausgestreckte Hand ein.
„Wie heißt du?“ erkundigte ich mich und hielt ihn fest. „Bernd Feiler!“ murmelte er und warf einen um Hilfe bittenden Blick in Richtung seines Lehrers.
„Also, Bernd, du scheinst der Klassenklügste zu sein, was? Du hast auf Anhieb herausgefunden, daß ich einen Bauch habe!“ Ich schüttelte seine Rechte und sagte augenzwinkernd: „Bleib weiter so klug und gewitzt!“
Leises Kichern ging durch die Bänke.
Nun wandte ich mich an die ganze Klasse:
„Freunde“, sagte ich, „euer Lehrer, der Herr Schaifele, hat mich eingeladen, mit euch ein kleines kriminalistisches Experiment zu spielen. Seid ihr einverstanden?“
Alle brüllten sie: „Jaaaaaa!“
Waren es wirklich alle? Jedenfalls hatte auch „Mister Sommersprosse“ jetzt große, glänzende Augen.
Ich zeigte auf Pinsel: „Das ist Pinsel, und Pinsel ist Schiedsrichter. Und wer glaubt, daß Pinsel nur ein kleiner Hund sei, der irrt! Er sieht nur aus wie ein kleiner Hund. In Wirklichkeit ist er groß und stark. Er nimmt es mit Fahnenstangen ebenso auf wie mit dicken Bäumen. Wenn irgendwas nicht stimmt, wird Pinsel bellen! Alles klar, Pinsel?“
„Wau-wau!“
„Für unser Experiment ist es notwendig, daß drei von euch hinunter in den Hof gehen.“ Wie auf Kommando flogen zweiunddreißig Arme nach oben, und ein Konzert schnalzender Finger begann.
„Bitte, Herr Schaifele, suchen Sie drei Jungen aus.“
Viktor Schaifele, der sich anscheinend recht wohl in seiner Rolle als
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