Glaub nicht es sei vorbei
schaffen.
Aber womöglich war Sonia überhaupt nicht in der Bibliothek. Was hatte Frank erzählt? Dass Mrs. Ellis ihrer Tochter den Umgang mit Randy Messer verboten hatte und diese nur vorgab, in die Bibliothek zu gehen, und sich stattdessen heimlich mit ihrem Freund traf. In diesem Fall wäre Rebekkas Vision völlig falsch. Das wäre das erste Mal. Manchmal waren ihre Visionen zwar vage, aber Fiktionen waren sie nie.
Rebekka fischte aus ihrer Handtasche die Karte mit Sonias Privatnummer, die sie ihr im Schmuckladen zugesteckt hatte. Sie rief an, und eine etwas näselnde männliche Stimme sagte charmant: »Was ist?«
»Wohnt dort Sonia Ellis?«
»Ja.«
»Kann ich sie sprechen?« Rauschen. Rebekka stöhnte und wiederholte dann ihre Frage.
»Sie ist nicht da.«
»Könnten Sie mir sagen, wo sie ist?«
»Sind Sie 'ne Reporterin? Diese Keene-Schnalle?«
»Nein, ich bin Rebekka Ryan. Ich habe Sonia heute im Schmuckladen kennen gelernt. Ich muss sie unbedingt sprechen, es ist sehr wichtig. Darf ich fragen, wer Sie sind?«
»Cory«
»Hallo, Cory.« Rauschen. Rebekka hätte am liebsten laut geschrien und verfluchte insgeheim den Stoffel am anderen Ende der Leitung, aber sie zwang sich, höflich zu klingen, als das Rauschen nachließ. »Sonia hat mir ihre Privatnummer gegeben.« Um zu verhindern, dass der Junge einfach auflegte, erfand sie hastig einen Vorwand für ihren Anruf. »Ich wollte mir einen Ring kaufen und konnte mich nicht entscheiden, also bat Sonia mich, ihr Bescheid zu geben, wenn ich mich entschieden hätte. Sie wollte mir den Ring weglegen, bis ich morgen Nachmittag wieder in den Laden käme.«
»Ach so. Und Sie möchten den Ring?«
»Ja. Deshalb muss ich unbedingt mit Sonia sprechen. Sie wollte in die Bibliothek. Ob sie wohl schon dort ist?«
»Möglich.« Rebekka war nahe daran, die Geduld zu verlieren, als sich Cory plötzlich in eine sprudelnde Quelle von Informationen verwandelte. »Ich bin ihr Bruder. Sie hat beim Abendessen was von einer Frau gefaselt, die einen Ring anprobiert hat. Das waren wahrscheinlich Sie. Hat erzählt, Sie hätten mit 'nem heißen Doktor rumscharwenzelt.« Na toll, dachte Rebekka. Ich hab also scharwenzelt. »Auf alle Fälle hat sie Mom erzählt, dass sie in die Bibliothek geht. Da ist sie jetzt wahrscheinlich, aber irgendwann trifft sie sich mit Randy Messer. Sie darf ihn eigentlich gar nicht treffen, aber sie tut's trotzdem. Ich halt meinen Mund, sie hält ihren ... na ja, über ein paar Dinge, die ich so treibe. Auf alle Fälle hat sie gesagt, Sie wären echt cool, also kann ich Ihnen ruhig sagen, dass sie in der Bibliothek ist, aber wenn Sie jetzt hinkommen wegen ihres Rings und sie ist doch bei Randy, dann sagen Sie's bloß nicht meiner Mom.« Düster setzte er hinzu: »Das wär' voll uncool.«
Corys Tonfall nach zu schließen wäre ihr Ruf damit ein für allemal dahin. »Mach dir keine Sorgen — ich kann schweigen. Hast du eine Ahnung, in welchem Saal Sonia sitzt?«
»He, ich bin noch nie da gewesen!« Allein die Vorstellung schien Cory über Gebühr anzustrengen. »Dürfte aber nicht schwer sein, sie zu finden.«, fügte er hilfreich hinzu. »Das ist ja nicht die Städtische Bibliothek in New York. He, haben Sie mal Planet der Affen gesehen, wo dieser Typ unter der Erde die Ruinen der New Yorker Bibliothek findet und völlig ausrastet?«
»Nun ja, schon öfter.«
»Den mag ich besonders, wo die Affen auf die Erde kommen und in Talkshows auftreten, dann kriegt diese Frau ein kleines Affenbaby, und die Wissenschaftler wollen es ihr wegnehmen ...«
»Cory, ich hör dich nur noch ganz schwach«, brüllte Rebekka und war plötzlich ganz dankbar für die schlechte Verbindung. »Danke für deine Hilfe.«
Du liebe Zeit, dachte sie. Was soll bloß werden, wenn nur noch die Corys dieser Welt das Sagen haben? Dann wäre dies über kurz oder lang tatsächlich der Planet der Affen.
Sonia war also tatsächlich in. der Bibliothek. Diese Gewissheit war schon mal ganz gut. Das Schlimme war nur, dass damit auch ihre Vision zutraf. Jemand belauerte Sonia, wartete, bis seine Zeit gekommen war.
Die Ampel schaltete auf Rot, und um ein Haar hätte sie den Wagen vor ihr gerammt. Rebekka sah noch, dass der Fahrer sie durch den Rückspiegel kopfschüttelnd ansah, bevor das Bild vor ihren Augen verschwamm. Ihr Herz schlug schneller. Sie spürte eine Hitze in sich aufsteigen.
Der junge Mann am Nebentisch klappte sein Buch zu, legte es zu den beiden anderen auf den Tisch und
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