Gleichklang der Herzen
leises Violinspiel, bis Ravellas klare, unbefangene Stimme durchdrang.
„Ich musste einfach kommen …“
Nach einigen Tagen fröhlichen Zusammenseins hatte sich der Herzog zu ihrem großen Kummer von ihr verabschiedet. Er folgte einer Einladung Seiner Majestät im Carlton-Haus.
„Ja, ich verstehe, dass du gehen musst“, hatte Ravella geseufzt, „aber wann kommst du zurück? Morgen oder übermorgen?“
„Keine Ahnung!“
Ravella hatte indes nicht lockergelassen, bis er ihr versprach, nach einer Woche zurück zu sein. An dieses Versprechen hatte sie sich auch noch geklammert, als eine Woche überschritten war.
Als sie ihn nun wiedersah, schienen die Anwesenden gar nicht für sie zu existieren. Sie lief durch den Saal auf den Herzog zu.
„Du hattest mir versprochen, in einer Woche nach Lynke zurückzukehren! Ich dachte, du seist krank. Darum bin ich in der Postkutsche nach London gekommen. Du bist mir doch deshalb nicht böse?“
Mit dem verzweifelten Versuch, seine Zustimmung zu erlangen, sah sie ihn an. Erst jetzt wurde sie sich bewusst, dass die ganze Tischrunde sie neugierig anstarrte. Sie errötete und ahnte, dass sie wohl einen Fehler gemacht hatte.
„Du hast Gäste“, stammelte sie. „Es tut mir leid. Es wäre vielleicht besser, ich wäre nicht gekommen.“
Der Herzog erhob sich und sagte: „Du warst stundenlang unterwegs und bist sicher hungrig, Ravella.“
Dass er mit ihr sprach, beruhigte sie.
„Seit dem Frühstück habe ich nichts mehr gegessen. Jetzt bin ich so hungrig, dass ich einen ganzen Ochsen aufessen könnte.“
„Das Abendessen für Miss Shane“, sagte der Herzog zum aufwartenden Butler. „Setzen Sie noch einen Stuhl hier neben mich.“
Zu Lottis Ärger erhielt Ravella einen Platz neben dem Herzog. Der stand auf und erklärte: „Ich möchte Ihnen mein Mündel Ravella Shane vorstellen.“
Die meisten Herren erhoben sich, aber nicht allen gelang es. Einige plumpsten auf ihren Sitz zurück. Ravella dankte mit einem Knicks. Unter dem Mantel, den sie abgelegt hatte, kam ihr verblichenes, schlichtes Kleidchen zum Vorschein. Mit großen Augen betrachtete sie die eleganten, mit Juwelen geschmückten Damen an der Tafel.
„Was für ein schönes Fest!“, sagte sie zum Herzog. „Wird die Dame auf dem Tisch tanzen? Das würde ich gern sehen.“
Aber das Vergnügen, das sich Sir Rupert von der Darbietung versprochen hatte, war bereits im Keim erstickt. Er protestierte auch nicht, als die kleine Tänzerin kichernd vom Tisch herabstieg.
Speisen wurden serviert, und Ravella aß hungrig. Die Dame neben ihr starrte sie an.
Als Ravella es bemerkte, sagte sie freundlich lächelnd zu Lotti: „Sie sind schon alle fertig. Hoffentlich stört es nicht, dass ich mich so verspätet habe.“
Lotti hätte am liebsten geantwortet, Ravella störe allerdings sehr. Aber warum? Der Herzog konnte sich doch unmöglich für dieses schlecht angezogene Schulmädchen interessieren.
Während der Herzog schweigend zusah, redete Ravella eifrig. Sie schilderte die Typen in der Postkutsche und die Verspätung durch den Zusammenstoß mit einer anderen Kutsche.
„Die meisten kauften sich etwas zu essen“, berichtete sie, „aber ich hatte kein Geld. Das Fahrgeld habe ich mir von Kate geborgt.“
„Wer ist Kate?“, wollte der Herzog wissen.
„Das Hausmädchen, das in Lynke für mich sorgt. Stell dir vor, sie hat fünfzehn Geschwister. Zum Glück hat sie gestern ihren Lohn ausgezahlt bekommen, sonst hätte sie mir das Geld nicht leihen können.“
Am anderen Ende der Tafel wurde laut gelacht, und eine Frau kreischte. Ihr Partner hatte den Arm um sie gelegt und wollte sie küssen. Sie wehrte ihn mit einem leichten Klaps ab, der aber genügte, ihm das Gleichgewicht zu nehmen. Krachend fiel er vom Stuhl unter den Tisch.
„Ist er krank?“, fragte Ravella erstaunt.
Jetzt schien sich der Herzog plötzlich auf seine Verantwortung zu besinnen.
„Wenn du fertig bist, Ravella, wirst du bitte nach oben gehen und dort warten. Ich werde später mit dir reden.“
Ravella stand sofort auf. Sein schroffer Ton hatte sie erschreckt.
„Du bist mir doch nicht böse?“
Der Herzog winkte einem Diener. „Zeig Miss Shane den Weg zum Boudoir und sag der Haushälterin, dass sie für jeden Wunsch der jungen Dame zur Verfügung stehen möge.“
Das Boudoir war ein hübscher Raum zur Gartenseite hinaus. Die Haushälterin, Mrs. Pym, erschien und fragte nach Ravellas Wünschen.
„Ich möchte nur meine Hände waschen
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