Gleichklang der Herzen
man ihr serviert hatte, war sie erschöpft eingeschlafen. Am Nachmittag hatte Mrs. Mayfield sie geweckt und höflich gefragt, ob die Schneiderinnen zum Maßnehmen hereinkommen dürften.
„Man wird Sie nicht ermüden, Miss“, hatte sie gesagt. „Die Leute sind von Seiner Lordschaft herbestellt worden, um für Sie einige neue Kleider zu schneidern. Es wäre viel leichter für sie, wenn sie Ihre genauen Maße hätten.“
Romana war noch halb verschlafen und zu keinem Einwand fähig gewesen. Sie wunderte sich aber und wollte fragen, weshalb Seine Lordschaft ihr neue Kleider machen ließ. Doch sie unterließ es, weil sie wusste, dass sie dringend Kleider brauchte.
Das Benehmen des Lords war jedoch weder freundlich noch wohlwollend gewesen. Sie war aber zu müde gewesen, um sich irgendwelche Fragen zu stellen, und hatte alles über sich ergehen lassen.
Nur weil Mrs. Mayfield es zu erwarten schien und bereit war, ihr zu helfen, war sie aus dem Bett gestiegen. Sie stand in ihrem Nachthemd da, während die drei Schneiderinnen, die ins Zimmer gekommen waren, ihre zarte und anmutige Figur lobten.
Danach konnte sie sich wieder ins Bett legen und schlief sofort ein.
Aber sie war sehr erstaunt gewesen, als Mrs. Mayfield später am Abend einige neue Kleider hereingebracht und sie in den Schrank gehängt hatte.
„Ich habe gehört, dass Sie gleich am Morgen mit Mister Barnham aufs Land fahren, Miss. Da wäre es schade, die hübschen Kleider zu zerdrücken. Ich packe sie erst morgen früh in die Reisetruhe.“
Mit großen Augen hatte Romana dann die Kleider betrachtet, die ihr Mrs. Mayfield zeigte. Aber sie war noch immer viel zu verstört, um Fragen stellen zu können …
Am Morgen war ihr das Frühstück ans Bett gebracht worden, recht spät, wie es Romana schien. Mrs. Mayfield hatte ihr berichtet, dass inzwischen noch weitere Kleider geliefert worden seien, die man aber bis auf eines gleich in den Gepäcklandauer geladen habe, der schon nach Schloss Sarne unterwegs sei.
„Und dieses hübsche mattblaue Reisekleid könnten Sie vielleicht heute tragen, Miss. Dazu gehört ein reizender, mit Rosen dekorierter Hut.“
Als sie Romana das Kleid und den Hut gebracht hatte, hatte das Herz des Mädchens schneller geklopft. Doch dann war Romana eingefallen, wer diese Sachen bezahlte, und eine eiskalte Hand hatte sich um ihr Herz gelegt.
„Was macht Ihnen Sorgen?“, hörte sie Mister Barnham leise fragen.
„Es ist nichts“, murmelte sie.
Doch er sah, dass wieder ein Beben durch ihren Körper ging und ihre Hände in den eleganten Lederhandschuhen zitterten. „Es gibt nichts, wovor Sie Angst haben müssten. Schloss Sarne ist gewiss sehr beeindruckend. Man kann sagen, dass es eines der prächtigsten Schlösser in England ist. Die Mutter des Marquis, die verstorbene Marquise, richtete es sehr komfortabel und sehr schön ein. Es ist ein richtiges Heim, was man von anderen Häusern dieser Art nicht immer sagen kann.“
Es lag Romana auf der Zunge zu erwidern: Es wird nie meine Heimat werden.
Doch sie glaubte, es sei besser, vorerst nichts zu sagen. Das hatte sie bei der Begegnung mit Lord Kirkhampton erfahren müssen.
Sie waren schon längere Zeit schweigend gefahren, als Mister Barnham plötzlich erklärte: „Da liegt Schloss Sarne.“
Romana beugte sich vor, um in die Richtung zu blicken, in die er zeigte.
Auf der anderen Seite des Tales, vor einem Hintergrund aus grünen Bäumen, stand das größte, eindruckvollste und schönste Haus, das Romana je in ihrem Leben gesehen hatte.
Es war ein Juwel, und seine faszinierende Silhouette spiegelte sich in einem großen See, der zwischen der Straße, auf der sie fuhren, und dem Schloss lag.
Romana war einen Moment überwältigt. Das Schloss ließ sie an die romantischen Verse eines Gedichtes denken. Doch dann fiel ihr ein, wem es gehörte.
Ich werde dort wie in einem Gefängnis leben müssen. Panik stieg in ihr auf, und sie wünschte sich sehnsüchtig, jetzt auf und davon laufen zu können.
Wenige Minuten später bogen die Pferde von der Straße ab und zogen die Kutsche durch zwei prächtige vergoldete Tore. Sie fuhren eine lange, von Bäumen umsäumte Auffahrt entlang und näherten sich langsam, dem Schloss.
Es schien immer größer zu werden, bis Romana sich beinahe erdrückt fühlte. Sie presste sich tiefer in die Kissen und wünschte, sich unsichtbar machen zu können.
Dann überquerten sie eine Brücke mit drei Pfeilern und erreichten den Schlosshof vor dem
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