Gleitflug
losgeworden.«
Super Waling nahm den Prospekt entgegen und faltete ihn auseinander.
»Aha«, sagte er.
»Bei dir würde so eine Operation auch von der Kasse bezahlt.«
»Starten Sie in ein neues Leben«, las er mit dramatischer Betonung. »Dafür muss ich aber einen BMI über vierzig haben.«
»Das dürfte kein Problem sein«, sagte Dolly. »Du stellst bestimmt einen neuen Rekord auf.«
»Was ist BMI ?«, fragte Meike und schob sich vom Massagesessel.
»Body-Mass-Index«, erklärte Dolly. »Das Verhältnis von Körpergröße und Gewicht.«
»Jetzt haben wir aber genug über mich gesprochen«, meinte Waling und faltete den Prospekt wieder zusammen. »Wir sollten jetzt anstoßen.«
»Ich muss wirklich weg.« Dolly schaute auf die Armbanduhr und stand auf. »Meine Jungs.«
An der Wohnzimmertür drehte sie sich noch einmal um und sah Waling durchdringend an. »Der alte Waling. Der Geschichtslehrer, in den alle Mädchen heimlich verliebt waren, der Waling, der mit seinen Geschichten auch den langweiligsten Schultag gerettet hat, der muss zurückkommen. Abgemacht?«
Super Walings Kopf war noch röter als die Pfingstrosen auf der Fensterbank. »Ab… abgemacht«, stammelte er.
Dolly ging in den Flur, wo sie aber auf dem Absatz kehrt machte. »Noch eins. Diese Strampelanzüge, die sind wirklich unmöglich. Orangefarbene Trainingshosen! Wie kannst du nur so rumlaufen? Wenn ich dich das nächste Mal besuche, bestellen wir im Internet andere Sachen für dich. Es gibt unzählige amerikanische Internetshops für Fettsäcke wie dich.«
Und weg war sie.
»Olala«, sang Meike und ließ sich neben ihm aufs Sofa fallen. »Waren echt alle Mädels in dich verknallt?«
»Ich weiß es nicht. Dafür habe ich wohl keine so gute Antenne.«
Der Motor von Dollys altem Wagen wurde angelassen. Super Waling wollte aufstehen, um ihr zuzuwinken, aber bis er endlich stand, war sie abgefahren.
Er verliebt sich in sie! Sein dicker Bauch wird wieder flach, und dann verliebt sich Dolly auch in ihn, und dann bekommt er endlich Kinder, und ihre Kinder hören auf zu brüllen. Das ist die Lösung. Dafür verbrenne ich eine Million Rizla-Vögel.
»Deine Geschenke!«, rief Meike. Sie hüpfte barfuß zum Esstisch, auf dem sie eine Plastiktüte von einer Spirituosenhandlung abgelegt hatte. Sie kramte darin herum.
»Hundebrocken.« Sie schüttelte eine Pappschachtel. »Für Dino. Seit ich mit ihm Gassi gehe, bellt er schon weniger. Wusstet ihr, dass der Sohn von dem Alten einen Tattooshop hat? … Und die ist für uns.«
Sie hielt eine Flasche Malibu hoch. Super Waling machte ein skeptisches Gesicht. Meike packte weiter aus. Sie reichte dem Geburtstagskind drei Geschenkpäckchen.
»Wer hätte gedacht, dass ich sechsundvierzig Jahre alt werden darf«, sagte Super Waling mit belegter Stimme.
»Mensch, Waling«, entgegnete Meike. »Okay, du bist alt, aber so alt auch wieder nicht. Mein Opa, der ist echt alt.«
»Du hast recht.« Er lächelte, aber gleichzeitig schienen ihm Tränen über die Wangen zu laufen. Gieles war sich nicht sicher. Vielleicht schwitzte Waling noch vom Staubsaugen.
»Shampoo! Gute Idee!«
»Und Spülung, für nach dem Waschen. Beide sehr gut. Aus Dollys Salon.«
»Wunderbar. Wie nett von euch, wie lieb.« Er betrachtete die Flaschen, als wäre es sündhaft teurer Wein.
»Und die hier hab ich für dich gedownloadet«, sagte sie und riss das Papier von einer CD -Hülle.
»Fever Ray«, las Super Waling vor. Und dann einen Satz, den Meike mit rotem Filzstift auf die Hülle geschrieben hatte: »Wenn ich groß bin, werde ich Waldhüterin und laufe mit hochhackigen Schuhen übers Moos.«
»Das singt die Sängerin. Sie ist Schwedin und das Abgefahrenste, was ich kenne. Sie verändert sich jeden Tag. Willst du’s hören?«
»Natürlich wollen wir es hören. Stimmt’s, Gieles?«
»Wieso nicht.« Er hatte sich in den Massagesessel gesetzt und ließ sich durchrütteln. Zhuangzi lag noch auf dem Tischchen. Die Geschichte von dem Seevogel wollte ihm nicht aus dem Kopf. Wenn ein Vogel auf seine natürliche Weise leben sollte, dann musste man ihn im tiefen Wald oder auf Inseln und an Flüssen und Seen leben lassen. Ihn frei fliegen lassen, mit dem Schwarm oder so. Wallie war jetzt in seinem Zimmer, hinter der geschlossenen Tür. War das sehr schlimm für sie? Aber sonst würde sie ihn suchen und in Panik geraten. Sie konnte nicht gut ohne ihn sein. Er nahm das Buch und las auf der Rückseite, dass Zhuangzi im vierten
Weitere Kostenlose Bücher