Glencoe - Historischer Roman
Glencoe habe ich jahrelang sein wollen, aber ich konnte nicht, und jetzt will ich nicht mehr. Ich brauche keinen Helden, der sehenden Auges sein Leben riskiert, sondern einen Mann, der das Notwendige tut, um uns zu schützen. Ruft ihn zurück, darum bitte ich Euch.«
»Das kann ich nicht.« Warum klang seine Stimme so unsicher, ja geradezu verzweifelt? »Wenn ich meine Männer aus Ballindalloch abziehe, wenn ich dieses Häuflein wegrufe, das die Stellung hält, dann gebe ich mein Einverständnis zur Auflösung des Hochlandheeres.«
»Und warum gebt Ihr sie nicht?« Das Kind erwachte. Es war wie Sandy Og, blickte verstört umher, die Augen weit, die Wimpern glänzend vor Nässe, besann sich dann, dass es hungrig war, und hob aus vollen Lungen an zu brüllen. Sarah, so mager sie war, befreite eine pralle, schneeweiße Brust, aus der die Milch schon sprudelte.
Das Kindchen, Sandy Ogs Tochter, gab Ruhe, sobald es zu trinken bekam. »Ich habe einen Eid geschworen«, sagte derMacIain, auf einmal beseelt von dem Wunsch, sie möge ihn verstehen. »Den kann ich nicht brechen, oder ich verrate alles, was in meinem Leben teuer war. Auch euch, Sarah. Ja, du hast recht, es sieht übel aus. Der Willie hat Dublin genommen und belagert Limerick, die Unseren sind in Cromdale regelrecht zermalmt worden, und die Schwarze Garnison wird wieder aufgebaut. Wenn die Franzosen nicht helfen, sind wir verloren, aber dürfen wir deshalb die Waffen strecken? Wir haben doch geschworen, dass wir kämpfen bis zum Schluss. Ich dürfte mit dir nicht darüber reden, doch du zwingst mich ja, was soll ein Mann da tun? Ein Bockbein bist du, wie der Kerl, den du geheiratet hast, und dem hab ich ja auch sein störrisches Fell nicht oft genug versohlt.«
»Wozu braucht es Sporen für ein williges Pferd?«, versetzte sie spitz. »Vom Prügeln tut Sandy Og der Stolz weh, aber das steckt er weg, er ist so zäh wie Heidewurzeln. Sein Vater jedoch muss ihn nur einmal scharf ansehen, und er springt für ihn in jede Schlucht.«
In das kurze Schweigen schmatzte das Kind. »Warum sagst du das?«, fragte er ehrlich verblüfft.
»Weil es so ist. Habt Ihr das nicht gewusst?«
»Sarah«, erwiderte er. »Ich fürchte, ich weiß von Sandy Og nicht viel.«
»Was macht das aus?« Ihr Blick war aufs Haar des Kindes gesenkt und ihre Stimme schwer von Traurigkeit. »Sandy Og weiß von Euch auch nicht viel. Manchmal habe ich mich gefragt: ›Diese Leute, die in diesem Tal beieinanderhausen und sich so stürmisch lieben, weshalb wissen die voneinander nichts?‹ In meinem Tal halten die Leute Abstand, aber sie wissen voneinander, was es zu wissen gibt. In Glencoe wird um jedes Ding ein Geheimnis gemacht. Warum?«
Der MacIain war nicht hier, um an den Pfeilern seines Lebens zu graben, doch er kam nicht umhin, ihre Frage zu bedenken. Wie viele Menschen lebten noch, die von ihm wussten,was es zu wissen gab? Nur drei. Mit dem einen sprach er nie mehr ein Wort, dem Zweiten stopfte er Pfeifen, um nicht sprechen zu müssen, und die Dritte wollte von alledem so wenig sprechen wie er. Dass es noch einen gab, fiel ihm nur flüchtig ein, weil der nicht zählte. »Weil manches einfach getan werden muss«, beschied er Sarah. »Du bist wie deine Großmutter, das Prachtweib. Die wollte auch alles erklärt haben: ›Warum ist’s im Sommer heiß und warum sind die Berge hoch und warum will dieser Kerl mich und keine andere?‹«
»Da wir dabei sind«, sagte Sarah, die das Kind zu Ende gefüttert hatte und es zurück in den Schlaf wiegte. »Das habe ich Euch seit Langem fragen wollen und jetzt wag ich ’s, denn böse seid Ihr mir ohnehin: Warum wolltet Ihr eine klapprige Campbell zur Schwiegertochter? Ihr habt doch Schönheit genug unterm eigenen Dach? Um Euren ungeratenen Sohn zu strafen, weil Prügeln nicht half? Ein bisschen harsch, oder nicht?«
Der MacIain sprang auf. »Bist du närrisch, albernes Ding?« Er vertrat ihr den Weg und zog sie samt dem Kind in die Arme. »Das sollte Sandy Og dir sagen, nicht sein alter Vater: Eine Frau wie dich zu haben, das ist keine Strafe, es ist eine Ehre, derer ein Mann sich würdig zeigen muss. Ja, ich hab mit der alten Jean gewürfelt, und eingeschlagen hab ich, weil ich doch auf einen Spielgewinn von einer Campbell nicht verzichten kann. Als aber Sandy Og, der Starrkopf, dich unbedingt holen wollte und als er mit dir übers Moor kam, da hatte ich dich gleich lieb. Weißt du das nicht? Ist das auch ein Geheimnis?«
»Nein, Vater MacIain«,
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