Glencoe - Historischer Roman
worden. Ich muss mich mit ihm beraten, vielleicht ist es auch klüger, zu warten, bis aus Paris Nachricht von König Jamie kommt.«
»Kommt denn Nachricht?«
»Hast du Angst, ich rede mich heraus?«, fragte er. »Hast du Angst, ich bin in Wahrheit nur zu feige, mit ihm zu sprechen?«
»Nein.« Weil sie seine bloße Haut nicht berühren durfte, legte sie sich selbst die Hand aufs Herz. »Sandy Og, als ich zu dir gesagt habe: ›Bessere dich‹, da hab ich nicht gemeint: ›Sei ein besserer Mann‹, sondern: ›Sei der Mann, der du sein kannst.‹ Ich weiß, du wirst mit ihm sprechen. Ich weiß, du wirst tun, was möglich ist, ob es genügt oder nicht.«
Mehr sagte keiner von ihnen. Irgendwann griff er nach ihr und zog sie an sich. Sie wagte erst nicht, ihm zu folgen, weil ihr der Gedanke zuwider war, ihm wehzutun, dann aber gab sie nach und berührte seine Haut mit den Lippen. Sie hörte seinem Herzschlag zu und ließ ihn ihr Herz hören. Sie lagen neben ihren Kindern still und hielten die Trommeln ihrer Angst zusammen aus.
Am Morgen kam der MacIain zurück und zog den Grund, der ihn aufgehalten hatte, auf einem Gaul bis aufs Joch. Ranald vom Schild war gestorben, der Barde von Glencoe. Aus dem einen, der immer währte, war einer von vielen geworden, die es nicht mehr gab. Der MacIain hatte den Toten aufs Pferd gebunden und war hernach noch drei Tage mit ihm unterwegs gewesen. Es war höchste Zeit, dass er begraben wurde.
Was hatte der MacIain so viele Tage lang fern von Glencoe mit einem reitenden Leichnam gemacht? Es war noch mehr geschehen, und in dem Geschrei, das entstand, in dem in Eile vollzogenen Abtrieb erfuhr Sarah erst Tage später von Lochiel,wo ihr Schwiegervater gewesen war. Sie hätte dieses Wissen Sandy Og gewünscht – ihm stand ja ins Gesicht gebrannt, wie sehr er sich danach sehnte –, aber das Wissen kam zu spät. Als sie es ihm zu erklären versuchte, wollte er es nicht mehr hören und schon gar nicht glauben, denn mittlerweile wusste er etwas anderes.
»Mich schert nicht, wo er war!«, schrie er. »Mich schert nicht, was er tut oder was er von einem von uns denkt. Wir sind die Scheite, mit denen er seinen Ofen heizt, und er bedauert höchstens, dass er nicht mehr von uns hat und uns nicht schnell genug ersetzen kann. Ich will nur meine Schwester finden. Und Ben. Ehe es schneit.«
Sooft Sandy Og und sein Vater gestritten hatten, hatte Sarah gefürchtet, der MacIain werde in seinem zügellosen Zorn auf Sandy Og losschlagen – nicht mit Worten, sondern mit Fäusten. An jenem Morgen, als sie erfuhren, dass Gormal nicht mehr in Glencoe war, hatte Sarah Angst, Sandy Og schlüge auf seinen Vater los. Letzten Endes aber ließ er die Fäuste sinken und spuckte auch nicht aus, wie der Vater es so oft vor ihm getan hatte, sondern wandte sich ab. Ein großer, schöner, beherrschter Mann, der den anderen nicht länger nötig hatte, der nicht auf das Rufen seines Vaters hörte, sondern ging, um seinen Karren zu beladen. Sarah sah, wie der MacIain Sandy Og nachstarrte, allein, ohne den Barden und ohne den gelben Mantel, mit dem er den Barden zugedeckt hatte. Selten hatte Sarah mit einem Menschen so viel Mitleid verspürt.
Sandy Og war stur. Daran hatte Sarah nie gezweifelt, obwohl sie ihn zugleich sacht und biegsam fand. Ihr Mann war stur wie ein Birkenstamm und jetzt zu weit gebogen; er weigerte sich, auch nur ein Wort zur Verteidigung seines Vaters zu hören. John kam zu ihm und drang auf ihn ein, Sarah bemühte sich täglich, und nicht zuletzt sprang ihnen der große Lochiel bei, der dafür eigens über Nacht in ihrem Haus logierte. Sie alle versuchten, ihm ins Gedächtnis zu rufen, dass der MacIainschließlich nur das Gesetz erfüllt und seiner Tochter und dem Knecht gegenüber sogar milde gehandelt hatte.
»Mit seinem Gesetz wisch ich mir den Hintern!«, schrie Sandy Og. »Für mich gilt es nicht mehr! Ich will so nicht sein, und für kein verdammtes Gesetz gäbe ich eins meiner Kinder!«
Du bist der mutigste Mann im Hochland. Der Einzige, der zu sagen wagt: »So wie mein Vater will ich nicht sein.« Aber dass ich dich unsäglich dafür liebe, nimmt mir nicht die Angst.
Sandy Og stopfte Brot in einen Mantelsack, zog sein Plaid vom Haken und ging, um in den Bergen nach Ben und Gormal zu suchen.
»Lass ihn ziehen«, sagte Lochiel.
»Er ist verwundet. Es geht ihm übler, als er sich stellt, und bald fällt Schnee.«
»Es erginge ihm noch übler, wenn er sich um seine Schwester
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