Glencoe - Historischer Roman
weiß ich! Kommen die nicht überallher? Es kanndoch keiner von uns wissen, was möglich ist. Gerade hat es noch geschneit, und wer rechnet schon damit, dass es im Mai schneit?«
»Die wenigsten, da habt Ihr ganz recht. Nur nehmt es mir nicht übel – wenn Euer Sassenach wie Schnee vom Himmel fällt, sind wir ohnehin verloren, da nützt uns alles Lamentieren nichts.«
Obgleich die meisten Robertson beipflichteten, obgleich sie alle Leute an die Wartezeit verloren und am tatenlosen Stillhalten irre wurden, hatte Dundee die Lacher auf seiner Seite. Sandy Og aber tat der kleine Robertson leid. Ich halte besser den Mund, gebot er sich, aber da schwappten ihm die Worte schon über die Lippen: »Der Herr von Struan sorgt sich, weil sich kein Hochländer so langes Ausharren leisten kann. Es ist Sommer, da gibt es viel Arbeit. Und es herrscht Furcht, die Ernte werde schlecht ausfallen, weil das Wetter für die Jahreszeit zu feucht ist.«
Dundee betrachtete ihn ruhig wie ein Ebenbürtiger den andern. »Verlangt Ihr von mir, dass ich das Wetter mache?«
»Nein, aber dass Ihr unsere Sorgen versteht.« Erschrocken schwieg er. Mehrere Männer murmelten, einer kicherte, Sandy Ogs Vater schüttelte den Kopf. »Ein Mann, der in Marsch gesetzt ist und kämpft, weiß, dass er nichts anderes für seine Leute tun kann«, sprach Sandy Og weiter, »aber einen Mann, der im Lager hockt, plagt sein Gewissen. Es beschwört ihn: ›Daheim leiden sie Not. Wenn die Ernte schlecht ist, wird das Getreide teuer; wir bekommen nicht genug gegen Rinder getauscht und sind im Herbst ohne Brot. Hier braucht dich keiner. Geh heim und tu deinen Teil, damit dein Haufen satt wird.‹«
»Ganz recht«, grölte John Ardshiel, »aber wenn wir hier endlich losschlagen und uns ein paar von den Dörfern im Tiefland schnappen, dann leben die Meinen im Winter in Saus und Braus!«
»Gestattet mir eine Frage, meine Herren«, schnitt die Silberstimme Dundees in den entstehenden Tumult. »Wofür kämpft Ihr? Für James II., König von England und Schottland, oder für Korn und Schnaps in Euren Kammern?«
Hilflos blickte einer zum andern, wühlte sich im Haar und knetete die Hände. Die Antwort kannte keiner. Aber Sandy Og kannte sie. »Für einen Hochländer ist das ein und dasselbe.« In seinen Ohren rauschte es. Das tat sein Blut immer, sobald er Angst bekam; und zuweilen schwoll das Rauschen zu Getöse, sodass er kein Wort mehr verstand. Die Hand ans Ohr zu legen und die Ohrmuschel aufzubiegen nützte nichts. Im Stillen wünschte er sich manchmal, es Sarah zu erzählen, weil sie mitunter ebenfalls auf jemandes Lippen starrte, als versuche sie zu ergründen, was er sagte. Nur gab es schon genug Leute, die ihn für einen Schwachkopf hielten – Sarah hätte er so gern bewiesen, dass er keiner war.
Sandy Og schien es unendlich lange zu dauern, bis Dundees Lippen innehielten. Der Feldherr glitt aus seinem Stuhl, stieg über die ausgestreckten Beine und abgestellten Becher der Männer und kam zu ihm. Das Rauschen in Sandy Ogs Ohren schwoll. Dundee blieb vor ihm stehen und klopfte ihm auf den Oberarm. »Seid so gut und sprecht. Ich habe Euch gefragt, ob Ihr der Ansicht seid, wir hätten Männer und Munition genug, uns in die Schlacht zu wagen.«
Sandy Og ließ sein Ohr los. »Nein«, sagte er. Das Rauschen hatte sich gelegt.
»Darin sind wir also einig«, stellte Dundee ruhig fest und erklärte: »Ich lasse Eure Männer nicht warten, um sie zu schinden, sondern weil ich dringend darauf hoffe, dass sich uns mehr Clans anschließen, dass wir zumindest eine Handvoll Reiter bekommen und in den Häfen Munition kaufen können. Wir warten noch immer auf die Verbündeten in Argyllshire. Der Herr von Breadalbane hat bereits vor Wochen einen Boten mit seiner Zusage geschickt, doch er verweilt noch auf Schloss Kilchurn, um seine Gicht zu kurieren.«
»Er wird nicht kommen«, widersprach Sandy Og. »Wir wissen das, und Ihr wisst es auch.«
Auch dass König Jamie mit den märchenhaften fünftausend Mann nicht von Irland übersetzen würde, war den Männern bewusst. Wer öffentlich bezweifelte, dass sein König ein solches Heldenstück vollbringen könnte, mochte ein Verräter sein, doch wer noch darauf hoffte, war ein Idiot.
»Was sollen wir Eurer Ansicht nach also tun?«, fragte Dundee mit gefurchter Stirn. »Wenn wir nicht länger warten können, jedoch auch nicht zum Angriff bereit sind – was bleibt da noch?«
»Das wisst Ihr wie ich. Entweder Ihr bittet König
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