Glennkill: Ein Schafskrimmi
enger zusammen.
»Denn der Ermordete kann seinen Mörder in jeder Gestalt verfolgen. Auch das steht in dem Buch. Aber der Mörder hatte es nicht bedacht. George brauchte seine eigene Gestalt überhaupt nicht. Er konnte sich etwas aussuchen. Und wir alle wissen, was George gerne mochte.«
»Uns«, sagte Heide stolz. »Er mochte uns lieber als die Menschen.«
»Richtig«, sagte Miss Maple. »Das bedeutet, dass George seinen Mörder in Schafsgestalt verfolgt. Jetzt müssen wir nur noch wissen, wer von Schafen verfolgt wird.«
Es war einfach.
»Gott!«, blökten Lane, Cordelia und Cloud wie aus einem Munde.
»Richtig«, sagte Miss Maple.
»Aber«, sagte Zora zweifelnd, »war das nicht Othello?«
Maple nickte. »Einmal schon. Auf dem Friedhof. Aber er hat auch von einem grauen Widder gesprochen. Stellt euch George in Schafsgestalt vor – er könnte leicht wie ein grauer Widder aussehen.«
»Ich würde ihn gerne so sehen«, sagte Cordelia.
Miss Maple schüttelte den Kopf. »Ich glaube nicht, dass das geht. Wahrscheinlich kann nur der Mörder ihn sehen.«
Die Schafe seufzten. Sie hätten George gerne in ihre Herde aufgenommen.
»Aber wieso?«, blökte Heide.
»So ist das nun einmal«, sagte Cloud beschwichtigend.
»Nein!« Heide schüttelte störrisch den Kopf. »Ich meine: Warum hat der Langnasige George umgebracht?«
Alle Augen richteten sich auf Miss Maple. Warum?
»Auch das steht in dem Buch«, sagte sie. »›Ich kann ohne meine Seele nicht leben‹ steht da.«
Sie sah ihre Herde mit funkelnden Augen an.
»Na und?«, blökte Heide.
»Es hat mich daran erinnert, dass Sterben und Seele etwas miteinander zu tun haben«, erklärte Miss Maple, viel zu konzentriert, um sich über Heides freches Zwischenblöken zu ärgern. »Wenn man tot ist, muss die Seele den Körper verlassen. Weil der Körper nach Tod riecht und der empfindliche Geruchssinn der Seele das nicht aushalten kann. Dann ist die Seele verletzlich. Wir haben von den Hunden des Teufels gehört. Jemand wollte Georges Seele. Jemand wollte sie aus George herausholen, bevor sie den Hunden des Teufels in den Rachen lief. Der Mörder wollte Georges Seele für sich selbst.«
Miss Maple holte tief Luft. Man konnte beinahe sehen, wie ihre Gedanken durch den Heuschuppen galoppierten, hinaus auf die Weide bis zum Dolm, weiter zum Abgrund und wieder zurück, hin und her, verwirrend schnell, geheimnisvollen Mustern folgend.
»Wir haben selbst gesehen, was für eine Angst Gott um seine eigene Seele hat. Da war es natürlich logisch, dass er versuchte, Ersatz zu bekommen …«
Die Schafe legten nachdenklich die Köpfe schief. So hatten sie es noch gar nicht betrachtet. Miss Maple schlackerte siegessicher mit den Ohren und fuhr fort.
»Der Spaten selbst hat etwas verraten. Woran denkt ihr, wenn ihr an einen Spaten denkt?«
»An einen Spaten natürlich«, sagte Cloud. Maple konnte manchmal sehr seltsame Fragen stellen.
Maple seufzte. »An was noch?«
»Mauskraut!«, sagte Maude sofort.
Die anderen sahen sie an.
»Wieso denn Mauskraut? « , fragte Zora.
»Wieso nicht?«, sagte Maude. »Ich denke oft an Mauskraut.«
»Aber es hat doch nichts damit zu tun«, sagte Heide.
»Sie hat ja auch nicht gesagt, dass es etwas damit zu tun haben muss«, sagte Maude beleidigt. »Ich kann an Mauskraut denken, so oft ich will.«
»Aber es bedeutet nichts«, sagte Heide.
»Es bedeutet sehr viel!« Maude sah ihre Herde mit böse funkelnden Augen an. »Ich werde jetzt die ganze Nacht an Mauskraut denken! Nur, damit ihr’s wisst!«
Maude schloss die Augen und dachte ganz fest an Mauskraut. Die anderen Schafe überlegten weiter. Was hatte der Spaten zu bedeuten?
»Gemüsegarten!«, blökte Zora.
Das war offensichtlich. George hatte mit dem Spaten den Gemüsegarten umgegraben. Er hatte damit Unkraut gejätet und gerade Linien auf die Erde gezeichnet. Mit dem Stiel hatte er schmale Furchen gezogen und Samenkörner darin versenkt. Der Spaten und der Gemüsegarten gehörten zusammen.
Miss Maple nickte zufrieden. »Genau. Ich war sicher, dass der Spaten etwas zu bedeuten hat. Gottes Acker – erinnert ihr euch? Das war ein Hinweis. Der Gemüsegarten, in dem Tote gesät werden. Mit einem Spaten. Alles mit einem Spaten. Mit einem Spaten hat der Langnasige die Löcher gegraben und die Seelen eingefangen. Er wollte nicht nur eine einzige Seele. Er wollte einen ganzen Vorrat davon.«
Die Schafe staunten. Plötzlich passte alles zusammen, klar, schön und einfach, so wie
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