Glenraven
»Konzentrieren wir uns lieber darauf, wie wir hier wieder rauskommen«, erklärte sie.
Jay stieß einen Seufzer aus. »Okay. Laß uns den großen Ausbruch planen.« Sie sprach nicht mehr über den Traum. Trotzdem mußte sie ständig daran denken. Jay wollte ihn auch gar nicht vergessen; statt dessen betrachtete sie ihn als eine Botschaft Glenravens. Es war ein Versprechen auf Veränderung. Jay hatte in dieser Welt der Magie eine wichtige Aufgabe zu erfüllen. Sie - eine Frau, die ihr bisheriges Leben damit verbracht hatte, anderen dabei zuzusehen, wie sie Risiken eingingen und Chancen wahrnahmen, während sie nur darüber geschrieben hatte - sie hatte jetzt die Gelegenheit, etwas Bedeutendes zu vollbringen.
KAPITEL VIERUNDDREISSIG
Hyultif wartete hinter dem Vorhang, bis Aidris Akalan Bewul entlassen hatte. Erst als der Kin den Raum verlassen und die Tür hinter sich geschlossen hatte, wandte sie sich in Richtung des Vorhanges.
»Hast du gehört, was er gesagt hat?«
Hyultif, der seine Zauberutensilien bei sich trug, kam hinter dem Vorhang hervor und verbeugte sich vor der Schutzherrin. »Ich habe alles gehört.«
»Hat er recht? Hat Matthiall die falschen Leute geschnappt, und wenn ja… warum hast du mir geraten, daß er den Suchtrupp anführen soll?«
Das war typisch Aidris - immer bereit, jedem die Schuld für einen Fehler zu geben, der in der Nähe war. Aber die Lorbeeren kassierte nur sie allein, egal, wer dafür verantwortlich war.
»Matthiall hat die falschen Leute gebracht«, erklärte Hyultif. »Aber trotzdem kommt uns das zugute. Schaut - studiert die Omen.«
Hyultif reichte Aidris die Schüssel. Sie nahm sie, glitt elegant zu Boden und kreuzte die Beine. Die Schutzherrin starrte lange auf ihr eigenes Spiegelbild. Ihr langes, blasses Haar fiel nach vorn und schirmte ihr Gesicht wie ein Vorhang ab. Dann blickte sie wieder hoch und lächelte - ihre weißen Reißzähne leuchteten wie Perlen im tiefen Kupfer ihrer Haut. Ihre honigfarbenen Augen verengten sich und waren erfüllt von einem unheimlichen Glühen. »Ja, Hyultif. Das ist schon viel besser. Ich werde die Machnan nicht einfach nur besiegen; ich werde sie vernichten . Die Vorzeichen sind wunderbar.«
Hyultif hatte diese Reaktion erwartet. Er hatte lange genug an der Vision gefeilt, hatte sie so mysteriös und komplex gestaltet wie jede, die das Orakel auch sonst gezeigt hätte. Hyultif hatte jedes Bild so bearbeitet, daß es von Macht und Eroberung erzählte. Was Aidris sah, bestärkte sie in dem Glauben, daß Matthiall durch seinen Fehler genau in ihre Hände arbeitete. Es gab keine wirkliche Bedrohung. Aidris stand kurz davor, die völlige Kontrolle über Glenraven und seine Bewohner zu erlangen… und das alles, ohne auch nur einen einzigen Krieger in den Kampf zu schicken.
Es war von enormem Vorteil, immer nur die Wahrheit zu sagen, dachte Hyultif. Man konnte eine gigantische Lüge verbreiten, ohne daß jemand Verdacht schöpfte.
KAPITEL FÜNFUNDDREISSIG
Sophie schloß die Augen, als das Wasser des kleinen Wasserfalls in der Grotte über ihren Nacken lief. Es war eine phantastische Massage, die allerdings nur auf ihren Körper wirkte. Ihr Verstand ließ sich nicht so leicht beruhigen.
Sophie betrachtete ihre Finger, die wie eine Dörrpflaume geschrumpelt waren. Seufzend zog sie ihr Glenraven-Kostüm aus dem Bach und legte es auf einen Stein neben Jayjays. Dann kletterte sie aus dem Wasser, trocknete sich ab und zog sich frische Unterwäsche, Jeans und ein Polohemd über. Die beiden Frauen hatten beschlossen, daß die verdreckten Kostüme eine gründliche Reinigung vertragen konnten. Ihre eigene, bequeme Baumwollkleidung fühlte sich wunderbar an - Sophie würde sie vermissen, wenn sie wieder in die einfachen Trachten schlüpfen mußte. Nachdem sie fertig war, gesellte sie sich zu ihrer Freundin am anderen Ende der Höhle. »Hast du dir schon einen Weg ausgedacht, um uns hier rauszubringen?«
Jayjay, die als erste gebadet hatte, trug ihre Lieblingsklamotten - Khakihose, Khakihemd und ihre berühmte Fotografenweste. Sie starrte ins Leere. Als sie Sophies Stimme hörte, schreckte Jay hoch. »Was?«
»Hast du dir einen Weg ausgedacht, um uns hier rauszubringen?« wiederholte Sophie geduldig. »Ist dir was eingefallen? ›Die fünf besten Arten, wie man durch eine unsichtbare Wand geht‹ oder ›Die drei einfachsten Techniken, eine Wache zu überrumpeln‹… irgendwas in der Art?«
»Oh, nichts, was erwähnenswert
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