Global Warning
Jetzt sah es ganz danach aus, als wäre ihm die Natur zuvorgekommen.
Er blätterte ein paar Seiten weiter und hielt wieder inne. Heftig blinzelnd versuchte er, sich auf einen Absatz zu konzentrieren, in dem es um eine ganz bestimmte, seltene Adaption der Bakterien ging. Es war genau die Adaption, von der er angenommen hatte, dass sie möglich war, wenn man genetisches Material von Bakterien, die im Amazonasbecken heimisch waren, in ein kohlenwasserstoffverzehrendes Bakterium injizierte, das er in Nigeria entdeckt hatte.
Erin ließ den Bericht fallen und hob den Kopf, um nachzusehen, ob die beiden anderen durch das Geräusch wach geworden waren. Beamon rollte sich auf den Rücken und begann zu schnarchen. Andropolous sah einfach nur fertig aus.
Lautlos stand er auf und rang um sein Gleichgewicht, während sein müder Verstand nach einer Erklärung für den Inhalt des Berichts suchte. Dann ging er in die kalte Nacht hinaus, zog leise die Tür hinter sich zu und lief über den hell erleuchteten Teppich aus Schnee.
Er ließ den Bohrturm und die Maschinen hinter sich und ging durch eine Lücke in dem Schneewall, von dem das Bohrgelände umgeben war, bis er schließlich in der stillen Tundra stand. Es musste eine Erklärung geben. Wenn er diese Adaption für nützlich gehalten hatte, war
es der Natur vielleicht genauso gegangen. Ja, klar. Mutter Natur hatte ein afrikanisches Bakterium so verändert, dass es in Alaska überleben konnte, und es dann auch noch mit einem anderen Bakterium kombiniert, das weder in Afrika noch in Alaska vorkam.
Erin starrte seine Füße an, während er weiterging und die Kälte durch seinen Pullover kroch. Als er schließlich stehen blieb und den Kopf hob, sah er keine zwanzig Meter von sich entfernt das Flugzeug. Er lief darauf zu, kletterte hinein und warf noch einen letzten Blick auf den Bohrturm, bevor er den Motor startete und Gas gab.
7
Es war erst Mitte September, doch der Wind trug bereits die ersten Schneeflocken mit sich. Jenna legte den Kopf in den Nacken und schloss die Augen; sie spürte das kalte Prickeln auf ihrer Haut und versuchte, die Erinnerung an den Sturm in Alaska zu verdrängen. Die meiste Zeit über hatte sie das Gefühl, als wäre das alles nicht ihr, sondern jemand anderem passiert, doch dann löste irgendetwas die Erinnerung daran aus, und sie ertrank darin. Sie fragte sich, ob es jemals anders werden würde.
Ihr kleines Haus stand ungeschützt auf einem Hügel, etwa eine Stunde von Bozeman, Montana, entfernt, umgeben von nichts - keine Nachbarn, keine asphaltierten Straßen, kein weit entferntes Leuchten von Großstadtlichtern, nicht einmal ein Blick auf die Wälder, die den größten Teil des Staates bedeckten. Sie fand Leere und schlechtes Wetter tröstlich. Vielleicht war es ja auch ihre Strafe. Wenn die Sonne schien und sie einen unerwarteten Moment des Glücks empfand, brachte das unweigerlich die Erinnerung an Erins Gesichtsausdruck zurück, als sie ihm gesagt hatte, dass sie ihn nicht mehr liebe. Noch mehr gerechte Strafe, wie sie vermutete.
Jenna holte die Plastiktüten mit den Lebensmitteln aus
dem Kofferraum ihres Subaru und schleppte sie die Einfahrt hoch. Dann bedurfte es erheblicher Verrenkungen, um die Tür aufzuschließen und mit dem Rücken aufzustoßen. Heute war wieder Tiefkühlpizza vor dem Fernseher angesagt. Oder Spaghetti aus der Dose. Früher hatte sie gutes Essen genossen und oft aufwendige, raffinierte Mahlzeiten zubereitet. Doch jetzt fühlte sie sich beim Kochen nur noch einsamer. Außerdem brachte es die verdammten Erinnerungen zurück.
»Jenna Kalin.«
Sie wirbelte herum, als sie die Stimme hörte, und ließ die Tüten auf den Schieferboden fallen.
»Ach nein, du heißt ja jetzt Baker, stimmt’s? Tut mir leid, Jenna. Ich wollte dich nicht erschrecken.«
Das Adrenalin, das durch ihre Blutbahn schoss, erschwerte einen zusammenhängenden Gedanken, doch sie wusste, dass er log. Sie zu erschrecken war seine Absicht gewesen.
Michael Teague saß im Wohnzimmer, fast unsichtbar in dem Halbdunkel, das der tobende Sturm draußen entstehen ließ. Er winkte sie heran, und Jenna ging zögernd ein paar Schritte auf ihn zu. Als sie die beiden Männer sah, deren Umrisse sich vor dem großen Fenster abhoben, das den Raum dominierte, blieb sie wieder stehen. Sie konnte ihre Gesichter nicht erkennen, doch sie wusste, dass es Udo und Jonas Metzger waren.
»Was...« Jennas Mund war so trocken, dass sie kaum sprechen konnte. »Was machst
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