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Glockengeläut

Glockengeläut

Titel: Glockengeläut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Aickman
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Urheberrechts, bei Veröffentlichung ein Honorar zu. Ich stelle hiermit fest, daß sie dieses lediglich bei mir einfordern muß. Wenn ich indes an jenen letzten Abend vor der Beerdigung denke, zweifle ich daran, daß sie es tun wird. Aber man wird sehen. Alles andere überlasse ich den Worten meines armen Bekannten.

    Gestern kam ich nach drei Wochen aus Belgien zurück. Während ich dort war, hatte ich ein Erlebnis, das einen tiefen Eindruck bei mir hinterließ. Es hat sogar, glaube ich, meine gesamte Lebenseinstellung geändert, mich, wie man gemeinhin sagt, ›im Innersten erschüttert‹. Zumindest glaube ich, daß ich es wohl nie werde vergessen können. Allerdings habe ich gelernt, daß das, an was man sich erinnert, immer etwas ganz anderes ist als das, was sich tatsächlich zugetragen hat. Daher ergreife ich nun die Gelegenheit, so viele Einzelheiten wie möglich niederzuschreiben, an die ich mich noch erinnere und die mir wichtig erscheinen. Erst sechs Tage sind seitdem vergangen, doch ich bin mir darüber im klaren, daß selbst nach dieser relativ kurzen Zeitspanne bestimmte Lücken durch Phantasie überbrückt werden müssen, daß unbewußte Veränderungen zugunsten von Stimmigkeit und Wirkung in der Geschichte eintreten werden. Es ist vermutlich bedauernswert, daß ich diese Aufzeichnungen nicht sofort in Brüssel anfertigen konnte, aber es war mir unmöglich. Mir fehlte die Zeit oder wohl eher, wie ich mir schon oft anhören mußte, die Hingabe. Auch spürte ich, daß ich mich wie unter einem Zauberbann bewegte. Ich fühlte, daß etwas Gräßliches und Beunruhigendes geschehen könnte, sollte ich mich tatsächlich allein in mein Zimmer setzen und damit beginnen, alles niederzuschreiben. Der Kanal scheint diesen Bann erheblich gelockert zu haben, obwohl ich auch jetzt noch all diese Stoffe auf meinen Händen und meinem Gesicht spüren, alle jene merkwürdigen Wesen sehen und Madame A.s krächzende Stimme hören kann. Ja, wenn ich darüber nachdenke, glaube ich, daß ich immer noch Angst habe - und immer noch jene überwältigende Anziehungskraft verspüre. Dies ist, so vermute ich, die ursprünglichste, die eigentliche Bedeutung des Wortes ›Faszination‹.
    Da andere, wenn vielleicht auch erst in fernster Zukunft, diese Zeilen lesen könnten, beginne ich zunächst mit einigen grundlegenden Fakten. Ich bin Maler und 26 Jahre alt: das Alter, in dem Bonnington starb. Ich verfüge über ein Jahreseinkommen von etwa 300 Pfund und bin somit in der Lage zu malen, was mich interessiert - zumindest so lange, wie ich allein bleibe. Bis zu diesem Zeitpunkt bin ich recht glücklich mit mir allein gewesen, eine Tatsache, die indes beinahe jeden meiner Bekannten aufzubringen schien. Ich hatte bislang nur sehr wenig mit Frauen zu tun, hauptsächlich, da ich mir nicht vorstellen kann, daß ich irgend etwas zu bieten hätte, was sie interessieren könnte, und da ich Konkurrenz in den zwischengeschlechtlichen Beziehungen verabscheue. Es wäre mir zuwider, von einer Frau bemitleidet zu werden, ebenso wie, mich mit einer Frau einzulassen, die ich bemitleiden müßte: einer Frau, die nicht attraktiv genug wäre, mit Haut und Haaren am Geschlechterkampf teilzunehmen - und die deshalb für jemanden wie mich zu haben wäre. Ich könnte mich für keine Frau erwärmen, die auch nur um Haaresbreite weniger als wunderschön wäre. Vielleicht ist das der Künstler in mir. Ich bin mir da jedoch nicht ganz sicher. Ich könnte wohl nur eine Frau begehren, die mich aller Voraussicht nach nicht begehren würde. Ich kann nicht behaupten, daß dieses Problem mich überhaupt nicht berührte, aber verglichen mit dem, was ich gelesen und gehört habe, bin ich doch erstaunt, daß es mich nicht in stärkerem Maße beunruhigt.
    Ich bemerke auch, daß ich keine Schwierigkeiten habe, dies niederzuschreiben. Im Gegenteil, ich stelle fest, daß ich es genieße. Ich könnte mir gut vorstellen, eine recht umfangreiche Erzählung über den Zustand meines Innenlebens zu verfassen, aber das ist hier nicht der Platz für eine Darstellung meiner Gefühle, über die ich das für diesen Zweck Notwendige bereits gesagt habe. Ich muß ein Gleichgewicht herstellen zwischen dem einen Bedürfnis, meinen Verstand durch diese Zeilen wieder zu klären, und dem anderen, fremden Lesern gewisse Fakten mitzuteilen. Ich fasse diese Geschichte - falls ich sie überhaupt zu Ende bringe - so ab, daß sie nur von mir selbst und von Fremden gelesen werden wird. Ich hätte es

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