Glockengeläut
sollte, über die jüngsten Ereignisse zu sprechen.
»Tut mir leid, aber ich trage nicht gerade meinen Sonntagsstaat.« Er hielt mir die Tür auf, um mich hinein zu bitten. Lärm und Unordnung im Wohnzimmer waren geradezu erschreckend, aber Maureens Mann machte sich in aller Ruhe daran, den Kaffee zu bereiten, so als sei er allein in der Wohnung, und die Kinder starrten mich auch nur eine knappe Minute schweigend an, bevor sie wieder ihre wilden Verfolgungsjagden quer durch das Zimmer aufnahmen. Ich griff nach dem Observer.
»Was meinen Sie genau mit ›stimmt etwas nicht‹?« fragte Gilbert. »Milch und Zucker?«
Der Kaffee war wirklich gut, und ich brauchte dringend einen, obwohl ich erst kurz zuvor mein karges Frühstück verzehrt hatte.
»Die Leute in den Stockwerken zwischen uns gehen keinem normalen Geschäft nach.«
Seine Augenbraue zuckte leicht. »Da haben Sie recht.«
»Ich weiß nicht genau, was sie machen.«
»Maureen hat auch keine Ahnung. Sie wissen ja vermutlich, daß wir von Zeit zu Zeit diesen Kerl, diesen Millar, hier unten bei uns hatten. Er hat uns durch ein kleines Trinkgeld seine Dankbarkeit erwiesen, und ich gebe zu, wir waren damals verdammt froh über jeden zusätzlichen Shilling. Ich finde das Leben recht hart, und ich schäme mich nicht, Ihnen das zu sagen. Aber Maureen konnte nie besonders viel über ihn herausfinden. Ich persönlich habe Millar nie getroffen. Ich nehme an, Sie kennen ihn recht gut?«
»Kaum.«
Ich hielt es für richtig, ihm zu erzählen, was ich von Mr. Millar wußte, auch wenn ich lauter sprechen mußte, als mir lieb war, um den Krach im Zimmer zu übertönen.
Gilbert hörte mir aufmerksam zu, und dann, nachdem er kurz nachgedacht hatte, rief er: »Kinder! Geht nach draußen spielen!« Es überraschte mich, wie prompt sie sich davonmachten und zur Straße hochgingen, die damals am geheiligten Sabbat noch sicher und nahezu ausgestorben war. »Ich vermute, daß sich seitdem gewisse Entwicklungen zugetragen haben?« setzte er dann hinzu.
»Was das anbelangt, bin ich sehr froh, daß die Kinder draußen sind«, bemerkte ich.
»Sex oder Gespenster?« fragte Gilbert. »Noch Kaffee?« fuhr er fort, bevor ich etwas hatte sagen können. »Tut mir leid, ich vergaß.«
»Danke vielmals. Ich fühle mich schon viel besser.«
»Tut mir leid, daß Maureen nicht da ist.«
»Ich hoffe, sie wird nicht allzu lange fort sein«, entgegnete ich.
Wir schwiegen einen Moment, nippten an unserem Kaffee.
»Haben Sie hellseherische Fähigkeiten?« fragte er dann.
»Nicht daß ich wüßte. Dafür bin ich wahrscheinlich noch zu jung.« Er war trotz der Kinder kaum sechs oder sieben Jahre älter als ich. »Warum? Denken Sie, ich hätte mir das Ganze nur eingebildet?« Ich brachte es liebenswürdig und mit einem Lächeln hervor.
»Ich dachte nur, daß Sie möglicherweise gerade einen Blick in die Zukunft geworfen haben. All die Leute, die sklavisch am Nichtstun hängen. Wir werden einmal genauso werden, wenn wir weitermachen wie bisher. Einen Moment lang klang alles für mich wie eine Vision unserer eigenen Zukunft in vierzig Jahren - wenn es überhaupt so lange dauert.«
Darüber mußte ich erst einmal nachdenken.
»Aber sie tun es die ganze Zeit«, hielt ich schließlich dagegen. »Gut, vielleicht nicht in diesem Augenblick. Aber morgen können Sie hochgehen und nachprüfen, was ich erzählt habe. Sehen Sie es sich mit eigenen Augen an!«
»Das ist wohl kaum etwas, was ich gerne sehen möchte. Vierzig Jahre später! Obwohl ich in Harrow war, so seltsam das in Ihren Ohren auch klingen mag.«
Ich gebe zu, daß ich überrascht war. Ich bezweifle, ob ich bis zu jenem Zeitpunkt überhaupt schon einmal wissentlich einem Absolventen von Harrow begegnet war, obwohl ich den Ton, den er angestimmt hatte, kannte.
»Ich bin natürlich geflogen.«
Ich versuchte, meinem Gesicht einen angemessenen Ausdruck zu verleihen, bevor ich mich wieder meinem Thema zuwandte.
»Maureen muß es gesehen haben«, fuhr ich fort. »Ist das nicht auch der Grund, warum sie heute nicht hier ist? War es nicht alles zu viel für sie?«
Er betrachtete mich ein wenig aus den Augenwinkeln, sagte aber nichts. Plötzlich durchfuhr mich der Gedanke, daß er Maureens Zusammenbruch auch mir anlasten könnte.
Ich kam jedoch erneut auf die Leute über uns zurück. »Wissen Sie denn, was Maureen weiß? Manche von den Dingen, die es da oben herauszubekommen gibt, können recht verwirrend sein.«
»Das bezweifle ich
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