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Glockengeläut

Glockengeläut

Titel: Glockengeläut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Aickman
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Gräßlichste, was ich je gehört habe!« Natürlich war sie wahnsinnig.
    »Es wird von Mal zu Mal schwieriger. Je mehr ich sie herunterfeile, desto schärfer werden sie. Ich weiß überhaupt nicht, wozu ich mir die ganze Mühe mache.«
    Curtis versuchte, sich zusammenzureißen. »Sieh mal, Liebling«, sprach er sie schließlich über den Tisch hinweg an. »Sieh mal, Liebling, du bist krank. Du hast es ja selbst gesagt. Ich räume jetzt noch ganz schnell auf, und dann rufe ich Nicolson. Er wird sicher kommen.« Nicolson war ihr Hausarzt.
    »Ich habe nicht den Verstand verloren, wenn es das ist, worauf du hinauswillst.« Sie brachte es mit einer solchen Ruhe hervor, daß Curtis, der schon aufgestanden war, sich wieder hinsetzte. »Meinen Körper vielleicht. Aber nicht meinen Verstand. Und ich glaube nicht, daß Nicolson in der einen Sache mehr als in der anderen ausrichten kann.« Sie legte ihre Hände auf die Tischplatte und verschränkte die Finger ineinander. »Hast du sonst noch irgendwelche Vorschläge?«
    »Es muß doch irgend eine Möglichkeit geben!« Seine Gedanken flogen in wilder Aufregung von psychiatrischen Kliniken zu Eheberatungszentren und ähnlichen Institutionen. Er hatte nie auch nur im entferntesten daran gedacht, daß er einmal gezwungen sein würde, sich mit derartigen Problemen befassen zu müssen.
    »Vielleicht brauche ich einen Häßlichkeits-Salon. Du kennst nicht zufällig einen?«
    »Ich habe dich noch nie so schön gesehen.« Er hatte seine vorbestimmte Rolle aufgegeben, sprach statt dessen aus, was er dachte.
    »Aber du willst mich trotzdem nicht mehr? Jetzt nicht mehr? Nicht wirklich?«
    »Natürlich will ich dich noch. Du bist meine Frau. Wenn nur alles wieder so sein könnte, wie es war. Das ist alles, was ich will.«
    Sie nahm eine exquisit gearbeitete Karaffe zur Hand, auch sie eine ihrer Neuanschaffungen, und füllte ein dünnwandiges Weinglas. »Ich hatte ja keine Vorstellung«, fuhr sie fort, »wie tief es geht. Die meisten Leute wissen nichts. Nichts. Es geht hinab bis zur Wurzel des Lebens selbst.« Sie leerte das Glas. Ein purpurner Tropfen des Weins blieb in ihrem Mundwinkel hängen. Sie fuhr mit der Zunge über die Lippen.
    »Was geht tief? Ich verstehe dich nicht.«
    Als er sie betrachtete und herauszufinden versuchte, worin ihre Verletzungen bestanden, denn Verletzungen mußten es sein, so viel spürte er, war er sich einen Moment lang gar nicht mehr sicher, ob sie sich seit dem Tage ihrer Hochzeit überhaupt verändert hatte, abgesehen von ihren Händen, selbstverständlich. Ihr weißer Schleier indessen erschwerte jedes endgültige Urteil.
    »Wenn du mich nicht verstehst, kannst du mich auch nicht wollen«, sagte Nesta.
    »Aber ich will dich«, begehrte Curtis auf. »Ich habe versucht, dich zu küssen, aber du wolltest es nicht.«
    Sie stand dort, ihre Fingerspitzen ruhten auf dem weißen Tischtuch. Curtis fühlte sich an eine klauenbewehrte Göttin erinnert, die das uralte, unsterbliche Gesicht der Schönheit trug, und die er einst in Begleitung jener früheren Frau in seinem Leben schon einmal gesehen hatte. Wieder richtete Nesta ihre strahlenden Augen auf ihn. »Du sagst, du willst mich küssen«, meinte sie. »Wie lange ist es her, seitdem du mein Gesicht das letzte Mal gesehen hast? Glaubst du, daß du mich noch wiedererkennst?«
    Langsam lüftete sie ihren Schleier. Dann ergriff sie einen der schweren Kandelaber und schwenkte ihn langsam in Richtung ihres Gesichts.
    Abgesehen davon, daß sie nun perfekt geschminkt war, konnte Curtis noch immer nicht erfassen, was genau mit ihr vorgegangen war.
    »Also?« drängte sie ihn.
    Curtis bewegte sich nicht, sondern saß, die eine Hand immer noch gegen seine Wange gepreßt, und starrte ihr vertrautes Gesicht an, wie Odysseus Circe angestarrt haben mochte.
    »Ich habe dir zwar nie ein Photo von mir gegeben, habe aber trotzdem damals eines machen lassen.« Sie setzte den Kerzenleuchter ab, öffnete ihre Handtasche und reichte ihm eine Portraitphotographie.
    Curtis würdigte sie keines Blickes.
    »Es ist phantastisch, was man mit Make-up anstellen kann, wenn man ein gutes Photo als Vorlage hat«, sagte Nesta. »Findest du, daß es mir ähnlich sieht?«
    Curtis langte nach dem Bild und zerriß es, ohne es anzusehen, in kleine Schnipsel.
    »Das ändert jetzt auch nichts mehr«, fuhr Nesta fort, »obwohl es wahrscheinlich der letzte noch existierende Abzug war. Es ist so schwierig geworden, ihm noch ähnlicher zu werden, daß ich

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