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Glockengeläut

Glockengeläut

Titel: Glockengeläut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Aickman
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es sowieso aufgeben sollte. Wie du siehst, sind sogar dem Make-up Grenzen gesetzt. Außerdem, warum sollte ich es überhaupt tun? Also sieh noch einmal hin. Es wird nur deine Erinnerung bleiben.«
    Eine nach der anderen blies sie die Kerzen aus. Curtis hielt das zerkratzte Gesicht mit seinen Händen bedeckt.
    Als die letzte Kerze erloschen war, fuhr sie fort:
    »Küß mich zum Abschied.«
    Curtis konnte hören, wie sie sich durch die vom schweren Wachsgeruch der Kerzen geschwängerte Finsternis auf ihn zu bewegte. Er krümmte sich zusammen, aber schon stand sie an seiner Seite. Ihre warmen Lippen berührten sanft seinen Nacken unterhalb des Haaransatzes. Ihr Haar verströmte einen neuartigen und wundervoll betörenden Duft.
    Er vernahm, wie sie sich auf die Tür zu bewegte. Im nächsten Raum, dem Wohnzimmer, waren die Geräusche ihrer Schritte längere Zeit nicht zu hören, er wußte, daß sie sich in dem hohen Prunkspiegel betrachtete, der aus einem italienischen Palazzo zu stammen schien. Dann kehrte das Geräusch ihrer Schritte zurück, langsamer als zuvor, dachte er, zweifellos hüllte sie sich nun in ihre Pelze. Bald darauf wußte er, daß er sie nie wieder sehen und nichts mehr von ihr hören würde.

Glockengeläut

    Er hatte eigentlich nie zu der großen Menge derer gehört, die eine tiefe Abneigung gegen Kirchenglocken hegen, aber das Glockengeläut an jenem Abend dort unten in Holihaven änderte seine Einstellung schlagartig, Glocken konnten einem, so empfand er, ganz schön auf die Nerven gehen, und dabei war er gerade erst in dem Städtchen angekommen.

    Er war sich der Gefahren, die aus der Hochzeit mit einer vierundzwanzig Jahre jüngeren Frau erwachsen konnten, zu sehr bewußt gewesen, um sie durch gewöhnliche Flitterwochen noch zu vergrößern. Die seltsame Kraft von Phrynnes Liebe hatte sie beide ihrem früheren Selbst entfremdet: Bei ihm war ein gewisses In-den-Tag-hinein-Leben durch kluge Voraussicht und Planung ersetzt worden, um ihr Glück gleichsam einzumauern; und sie, die vorher als kalt und wählerisch gegolten hatte, stimmte nun allem zu, solange sie nur mit ihm zusammensein konnte. Er hatte ihr eröffnet, daß sie sich eine frühe Hochzeit im Juni mit einem Aufschub der Flitterwochen bis in den Oktober erkaufen müßten. Hätte er ihr länger den Hof gemacht, hatte er mit einem hintergründigen Lächeln erklärt, hätte sich sicher ein Arrangement treffen lassen; doch wie die Dinge nun einmal lagen, rief die Pflicht. Das jedenfalls stimmte, denn seine geschäftliche Position war weniger einflußreich, als er Phrynne glauben gemacht hatte. Und schließlich wäre es ihnen einfach unmöglich gewesen, noch länger zu warten, denn sie hatten sich bereits seit dem Tag ihrer ersten Begegnung angehimmelt, nicht ganz sechs Wochen vor dem festgesetzten Termin ihrer Hochzeit.
    »›Ein Dorf‹«, hatte er zitiert, als sie an dem kleinen Bahnhof - auch er schon abgelegen genug - in den Zug der Nebenstrecke eingestiegen waren, »›von dem aus, wie man sagte, Leute mit einer entsprechend hohen Lebenserwartung die begründete Hoffnung hegen konnten, Liverpool Street zu erreichen.‹« Mittlerweile war er sogar in der Lage, Scherze über das Alter zu machen, obwohl er dies vielleicht ein wenig zu häufig tat.
    »Wer hat das gesagt?«
    »Bertrand Russell.«
    Sie hatte ihn mit großen Augen angesehen, die in dem schmächtigen Gesicht noch größer wirkten.
    »Wirklich«. Er hatte zur Bekräftigung gelächelt.
    »Ich bezweifle es ja nicht.« Ihr Blick hing weiter an ihm. Die romantische Gasbeleuchtung in dem reizend nostalgischen Abteil ließ ihn im Ungewissen darüber, ob sie nun zurückgelächelt hatte oder nicht. ›Im Zweifel für den Angeklagten‹, hatte er gedacht und sie geküßt.
    Die Pfeife des Stationsvorstehers schrillte, und sie waren in die Dunkelheit hinausgerattert. Als die Nebenstrecke sich abrupt vom Hauptschienenstrang trennte, verlor Phrynne beinahe den Halt, rutschte fast von ihrem Platz.
    »Warum geht es nur so langsam voran, wo das Land doch so flach ist?«
    »Weil der Ingenieur damals die Schienen der Geländeform der Hügel und Täler angepaßt hat, anstatt mit Tunneln und Bahndämmen eine moderne Streckenführung durchzusetzen.« Es machte ihm Spaß, sie belehren zu können.
    »Wie kannst du das wissen? Gerald! Du warst doch noch nie in Holihaven.«
    »Was ich dir gerade gesagt habe, gilt für die meisten Eisenbahnstrecken von East Anglia.«
    »Daß es, obwohl es flacher ist,

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