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Glockengeläut

Glockengeläut

Titel: Glockengeläut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Aickman
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sich dem Café näherten. »Ich gehe ohnehin.«
    »Sind wir etwa zu spät dran?« schaltete sich Phrynne ein, darauf bedacht, die Situation zu entspannen.
    »Nein, sind Sie nicht«, stellte der Kommandant mit seiner zutiefst mißgelaunten Stimme fest. »Meine Mahlzeiten werden eine halbe Stunde früher zubereitet. Ich esse nicht gerne in Gesellschaft.« Er hatte sich erhoben. »Also entschuldigen Sie mich bitte.«
    Ohne groß auf eine Antwort zu warten, stapfte er aus dem Café. Er hatte kurzgeschorenes weißes Haar, tragisch blickende Augen mit schweren Lidern und ein rundes, gelbliches und tiefgefurchtes Gesicht.
    Eine Sekunde später tauchte sein Kopf erneut um die Ecke auf. »Läuten Sie«, sagte er und war wieder verschwunden.
    »Es läuten hier ohnehin schon zu viele Leute«, scherzte Gerald. »Trotzdem sehe ich keine andere Möglichkeit.«
    Die Glocke des Cafés lärmte wie ein Feuermelder.
    Mrs. Pascoe erschien. Sie sah entschieden schlechter aus als bei ihrer ersten Begegnung. Augenscheinlich hatte sie getrunken.
    »Sie war’n ja gar nicht in der Bar.«
    »Sie müssen uns in den Menschenmassen übersehen haben«, bemerkte Gerald mit seinem liebenswürdigsten Lächeln.
    »Menschenmassen?« lallte Mrs. Pascoe. Dann, nach einer peinlichen Pause, legte sie ihnen die handgeschriebene Speisekarte vor.
    Sie bestellten, und Mrs. Pascoe bediente sie während der ganzen Mahlzeit. Gerald machte sich Sorgen, ihr Zustand könne sich bei fortschreitender Gangfolge verschlechtern; ihre Trunksucht schien jedoch, wie ihre Freundlichkeit, genau festgelegte Grenzen zu haben.
    »Alles in allem hätte das Essen schlimmer sein können«, bemerkte Gerald gegen Ende des Mahls. Er war erleichtert, daß wenigstens eine Sache in einigermaßen normalen Gleisen verlief. »Nicht gerade übermäßig viel, aber zumindest heiß.«
    Als Phrynne dies in ein Kompliment für den Koch verwandelt hatte, eröffnete ihnen Mrs. Pascoe: »Ich habe es ganz alleine gekocht, obwohl ich das besser nicht sagen sollte.«
    Gerald war höchst erstaunt, daß sie das in ihrer Verfassung noch zustande gebracht hatte. Vermutlich, fuhr es ihm alarmierend durch den Kopf, hatte sie viel Gelegenheit gehabt, unter ähnlichen Bedingungen zu üben.
    »Kaffee wird in der Lounge serviert«, erklärte Mrs. Pascoe.
    Sie zogen dorthin um. In einer Ecke der Lounge befand sich ein Wandschirm, dekoriert mit reizenden elisabethanischen Damen in Reifröcken und Halskrausen. Darunter lugten die Spitzen eines Paars kleiner schwarzer Stiefel hervor. Phrynne stieß Gerald an und wies stumm in diese Richtung. Gerald nickte. Sie fühlten sich gezwungen, über belanglose Dinge zu reden.
    Das Hotel war alt, seine Wände dick. In der leeren Lounge verhinderte das Glockengeläut zwar nicht, daß man Gespräche mithören konnte, doch auch hier schien es aus allen Ecken und Enden einzudringen, als sei das Hotel eine Festung unter schwerem Artilleriebeschuß.
    Nach ihrer zweiten Tasse Kaffee erklärte Gerald plötzlich, er halte es nicht mehr aus.
    »Liebling, das kann uns doch nichts anhaben. Ich finde es eigentlich ganz gemütlich hier.« Phrynne ließ sich in den hölzernen Stuhl mit seiner hohen schrägen Lehne und seinem erdfarbenen Bezug aus Samtimitat zurücksinken und streckte ihre hübschen Beine dem Kaminfeuer entgegen.
    »Offenbar läutet jede Kirche in dieser Stadt. Seit zweieinhalb Stunden geht das jetzt schon so, und sie scheinen sich nicht die geringste Verschnaufpause zu gönnen!«
    »Das würden wir gar nicht merken. Wo doch alle anderen weiterläuten. Ich finde es nett von ihnen, daß sie die Glocken für uns läuten.«
    Mehrere Minuten lang fiel kein Wort. Gerald wurde sich allmählich darüber klar, daß er und Phrynne erst einmal eine gewisse Urlaubsroutine entwickeln mußten.
    »Ich hol’ dir einen Drink. Was hättest du gern?«
    »Was du willst. Was du nimmst.« Phrynne gab sich dem typisch weiblichen Vergnügen hin, die Hitze des Feuers auf ihrem Körper zu genießen.
    Gerald, dem das entging, sagte: »Ich sehe nicht ein, warum wir es hier so warm wie in der Sauna haben müssen. Wenn ich zurückkomme, setzen wir uns woanders hin.«
    »Männer tragen viel zu viele Kleidungsstücke, Liebling«, stellte Phrynne mit schläfriger Behaglichkeit fest.
    Entgegen Geralds Annahme war die Bar der Lounge genauso menschenleer wie das Hotel und überhaupt die ganze Stadt. Nicht einmal der Ausschank war besetzt.
    Leicht gereizt schlug Gerald auf die Messingglocke auf der Theke.

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