Gloriana
zu erkennen war. Der Lordkanzler hob die Brauen.
»Ein Versäumnis, mein lieber Montfallcon«, sagte sie. »Ich hatte Euch informieren wollen, daß ich dem König von Polen Briefe schickte.«
»Mit denen Ihr Eure Einwilligung zur Eheschließung gabt?«
»Selbstverständlich nicht. Es war im vergangenen November, als Ihr am Fieber darniederlagt. Damals kam eine Nachricht aus Polen. Eine formelle Anfrage, die einem privaten Besuch des Königs galt – vielleicht einem geheimen Besuch, wenn ich es recht bedenke –, in jedem Fall einem Besuch inkognito. Ich stimmte zu. In zwei rasch hingeworfenen Briefen, in denen ich ihn einmal unserer Zuneigung zu seiner Nation versicherte und zum anderen einen frühen Zeitpunkt im neuen Jahr vorschlug. Eine Antwort blieb aus. Vielleicht ging der Brief verloren. Der König von Polen gilt als ein freundlicher Mann, und ich war neugierig, ihn kennenzulernen.«
»Und daraus folgert er – zweifellos, weil er Euer Majestät Geste nach den Bräuchen seines eigenen Landes interpretiert –, daß Ihr bereit wäret, ihn zu erhören, sollte er Euch einen Antrag machen.« Lord Montfallcon räusperte seine alte Kehle und drückte sich mit flacher Hand gegen die Brust. »Und wenn Ihr ihn zurückweist, Majestät?«
»Er muß informiert werden, daß er unsere Briefe mißverstanden hat.«
»Und wird sogleich eine Intrige wittern. Polen ist ein guter Freund. Überdies ist es ein mächtiges Reich, das sich von der Ostsee bis zum Mittelmeer erstreckt und von vierzig Vasallen Staaten Tribut empfängt. Gemeinsam halten wir uns die Tatarei vom Leibe …«
»Wir sind vertraut mit der politischen Geographie Europas, Lord Montfallcon«, sagte Dr. Dee und kratzte sich die Wange gelangweilt mit langem Fingernagel. »Ihr wollt damit andeuten, daß der König von Polen, so er sich als abgewiesener Freier sieht – am Ende gar als ein sitzengelassener Liebhaber –, seine verletzte Ehre durch Krieg gegen uns wiederherstellen werde?«
»Nicht mit Krieg«, sagte Montfallcon, als antworte er seiner eigenen Stimme. »Wahrscheinlich nicht Krieg, aber wir können uns selbst gespannte Beziehungen nicht leisten. Die Tatarei ist stets bereit, günstige Konstellationen für sich zu nutzen. Auch Arabien hat ehrgeizige Hoffnungen.«
»Dann sollte ich vielleicht den König von Polen heiraten.« Königin Gloriana lachte und war für einen Augenblick wie ein unbekümmertes junges Mädchen. »Wie? Würde uns das retten,
mein Lordkanzler?«
»Der Großkalif von Arabien wird uns bald einen Staatsbesuch abstatten«, sagte Lord Montfallcon sinnend. »Alles deutet darauf hin, daß auch er beabsichtigt, Euch die Ehe anzutragen. Für den nächsten Monat ist dann der Theokrat von Iberia angesagt – aber er weiß, daß seine Sache hoffnungslos ist, da es in Ansehung unserer schwierigen Beziehungen nicht gut möglich sein kann … Arabien jedoch …« Er schien zu einem Entschluß zu gelangen: »Es gibt keine andere Lösung! Doch sie müssen gemeinsam vor Euch erscheinen!«
»Aber die Ankunft des Königs von Polen steht unmittelbar bevor«, sagte Tom Ffynne. »Jeden Tag kann er in Le Havre eintreffen. Zwei weitere Tage, und er macht in London fest!« »Wann erwartet man seine Ankunft?« Montfallcon erhob sich und schritt unruhig neben dem langen Tisch auf und nieder, während seine Ratskollegen trachteten, seinen Überlegungen und seinem Hin und Her zu folgen.
»Achtundvierzig Stunden nach mir, denke ich. Und ich ver
ließ Le Havre vorgestern morgen mit auslaufender Flut.«
»Also bleiben uns vielleicht drei Tage.«
»Das mag zutreffen.«
»Ich bedaure sehr, daß ich vergaß, Euch zu unterrichten, Milord«, sagte Gloriana in bekümmertem Ton.
Lord Montfallcon straffte die Schultern, ließ das Sinnen sein und verneigte sich zur Königin. »Es ist ohne Bedeutung, Madame. Eine Peinlichkeit, nicht mehr. Wir müssen hoffen, daß der König von Polen ein wenig länger aufgehalten und gleichzeitig mit dem Großkalifen eintreffen wird.« »Aber warum sollte das die Situation verbessern?«
»Es ist eine Frage des Stolzes, Majestät. Solltet Ihr den Stolz von einem oder dem anderen verletzen, dann würde dies natürlich eine Verschlechterung unserer Beziehungen zur Folge haben. Verletzt aber der König von Polen den Stolz des arabischen Großkalifen oder umgekehrt, so gehen wir gestärkt daraus hervor. Keiner von beiden wird Schlechtes von der Königin denken, aber jeder wird schlecht vom anderen denken. Wie Ihr wißt, Madame,
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