Gloriana
sein werden, auf die Jagd zu gehen, aber ich bitte Euch, jagt ohne uns.«
Damit verbesserte die Königin die Atmosphäre in der Ratsversammlung dergestalt, daß alle anfingen zu lachen, denn Sir Viviens Jagdleidenschaft war am Hofe Gegenstand ständiger Scherze.
Gloriana erhob sich langsam und lächelte den erheiterten Ratsmitgliedern zu. Auch sie erhoben sich in respektvoller Haltung. »Dann gibt es weiter keine dringenden Angelegenheiten? Das war das einzige bedeutsame Problem, Lord Montfallcon?«
»So ist es, Majestät.« Der alte Kanzler verneigte sich und überreichte ihr eine Schriftrolle. »Hier ist mein Lösungsvorschlag für die Streitigkeiten zwischen Cathay und Bengalen.« Sie nickte und nahm die Rolle an. »Ich entbiete Ihnen allen einen guten Tag.«
Dreizehn Knie beugten sich. Gloriana rauschte hinaus und
war augenblicklich wieder von Pagen und Zofen umgeben, die sie zurück zu ihren Gemächern geleiteten und während ihres kurzen Aufenthalts in den Audienzsälen die entgegengenommenen Bittschriften sammelten. Gloriana hoffte, daß ihr eine halbe Stunde Zeit blieb, in welcher sie die Angelegenheit des Königs von Polen mit ihrer Vertrauten und persönlichen Beraterin, der Gräfin Scaith, besprechen könnte.
Perian Montfallcon stand eine Weile stirnrunzelnd, den Blick auf den Boden zu seinen Füßen geheftet, dann winkte er Lisuarte Ingleborough und Sir Thomasin Ffynne; die drei waren vertraute Freunde, Überlebende einer Tyrannei, deren Wiederkehr zu verhindern sie sich verschworen hatten. Montfallcon verabschiedete sich eilig von den übrigen Ratsmitgliedern und führte die zwei durch die kleine Tür durch das Vorzimmer in seine eigenen Amtsräume. Diese waren hoch und weit, angefüllt mit Folianten über Geschichte und Jurisprudenz. Einige der ledernen Bände waren so groß wie Montfallcon selbst. Hoch in die Wände eingelassene Fenster, die so angeordnet waren, daß niemand von außen hereinsehen und die Bewohner der Räume beobachten konnte, spendeten diffuses Licht, das sich in den oberen Dritteln der Räume konzentrierte und nur zu einem kleineren Teil den Boden erreichte, wo die drei Männer nun neben Lord Montfallcons geordnetem Arbeitstisch standen.
Der Lordkanzler seufzte und rieb sich die knollige Nase. »Es ist das erste Mal, daß sie sich so launenhaft und wunderlich benommen hat. War es so, weil ich auf dem Krankenbett lag und sie sich von mir verlassen fühlte? Es ist die Handlungsweise eines törichten Kindes. Das aber war sie nie, nicht einmal in ihrer Jugend.«
Der Großadmiral stützte sich auf den Schreibtisch und machte ein bedenkliches Gesicht. »Vielleicht sehnt sie sich danach, von ihrer Last befreit zu sein?«
»Sie ist sich ihrer Verantwortung zu sehr bewußt«, wider
sprach Tom Ffynne. »Und sie war stets pflichtgetreu. Vielleicht entsprang ihr Handeln mangelndem Wohlbefinden.«
»Schon möglich.« Montfallcon fühlte sich unversehens alt und am ganzen Körper wie gerädert, als ob er im Feld gewesen wäre. »Aber niemand hat ihr etwas angemerkt. Vielleicht hoffte sie in den wenigen Augenblicken, während sie diese Briefe schrieb und fortschickte, frei zu sein.«
»Es wäre das erste Mal, daß sie ein solch abweichendes Verhalten gezeigt hätte«, sagte Lord Ingleborough seufzend. Die Gicht machte ihm in diesem Winter arg zu schaffen, und manches Mal glaubte er, der Schmerz müsse seinen Körper gänzlich aus den Fugen bringen.
»Wir müssen es uns zur Pflicht machen«, sagte Lord Montfallcon, »solches in Zukunft zu verhindern. Und ihr, wenn möglich, Schmerzen ersparen.«
»Ihr werdet sentimental, Perian«, sagte Tom Ffynne mit einem Schmunzeln. »Aber wie sollen wir das Dilemma auflösen?«
»Es muß sich selbst auflösen«, sagte Ingleborough.
Montfallcon schüttelte das graue Haupt. »Es gibt einen anderen Weg. Mehr als einen, um genau zu sein, aber ich werde zuerst den am wenigsten dramatischen versuchen. Solche Manipulationen sind mir nicht neu. Ach, wüßte ich, was ich tue, um ihr Glauben und Vertrauen ihrer Untertanen zu erhalten! In diesem Fall kommt es darauf an, alle Freier zu täuschen und zu vertrösten, alle in Hoffnung zu halten, keine echten Zusicherungen zu machen, keinen zu beleidigen, die Beharrlichen zu ermüden und die Entmutigten ein wenig aufzurichten. So treibe ich für sie das Spiel mit den Freiern.« Er ließ sich in seinen lederbezogenen Lehnstuhl sinken. »Der dekadente Polenkönig kommt aus dieser Richtung, der kriegerische Kalif
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