Glück, ich sehe dich anders
wir doch noch unseren hart verdienten »Erholungsurlaub« antreten.
Diesmal ging es in die Nähe von Garmisch-Partenkirchen, eintausend Meter in die Höhe. Drei Wochen lang, eine eigene Ferienwohnung innerhalb einer Kureinrichtung mit separaten Schlafzimmern für die Kinder, um Loreen die nächtlichen Geräusche zu ersparen, mit Wohnküche, Fernseher, Telefon und Bad mit Waschmaschine und Trockner. All inclusive sozusagen.
Wir erlebten einen wunderschönen Winterurlaub. Die Kinder waren ganztägig – außer zu den Essenszeiten – betreut. Sogar während des Mittagsschlafs im Ruheraum wurde auf die Kinder aufgepasst.
Louise und Loreen hatten in der Kur sehr viel Spaß. Sie fuhren mit anderen Kindern auf einem großen Schlitten. Acht Kinder konnten gleichzeitig darauf sitzen. Wir unternahmen auch gemeinsam mit den Mädchen Ausflüge in die Berge. Louise und Loreen suchten Heidi und Peter und den Großvater und die Ziegen. Loreen tat so, als würde sie auf ihren Fingern pfeifen. Sie ahmte Peter nach, so machte er es im Hei- d/-Film, den Loreen aus dem Fernsehen kannte. Wir fuhren mit den Kindern – diesmal waren wir gleich mit dem eigenen Auto gefahren – an den Wochenenden die Serpentinen hinauf auf die Berge. Louise rief dann immer: »Huch, das wackelt, huch, wie hoch, huch, huch, auweia, oh Mann!« Aus dem Küchenfenster unserer Kurwohnung sah ich den Kindern, die mit den Erzieherinnen gegenüber am zugefrorenen See spielten, zu, wie sie Schneemänner bauten. Unsere beiden Mädels waren immer mittendrin. Sie trugen beide dicke Schneeanzüge. Louise einen in Hellblau mit hellgelbem Muster, Loreen einen hellgrauen.
Nach der Kur arbeitete Rolf immer mal wieder ganztägig, aber das reichte nicht aus, um unseren Lebensunterhalt zu sichern. In der Baubranche sah es den Winter über allgemein schlecht aus, wenn man Arbeit suchte. Rolf war sehr an einer Umschulung interessiert. Kinderpfleger, Kindererzieher oder einen ähnlich sozialen Beruf konnte er sich vorstellen. Das Arbeitsamt stellte sich jedoch quer. Er war ja im Frühling und Sommer vermittelbar. Warum sollten sie eine Umschulung finanzieren? Dabei ging es doch nur darum, etwas zum Lebensunterhalt beizusteuern. Die Umschulung selbst kostete ja gar nichts. Und es war doch wohl gleichgültig, ob Rolf laufend Arbeitslosengeld oder Arbeitslosenhilfe oder etwas für den Lebensunterhalt während einer Umschulung erhielt. Er lag dem Staat doch erst recht auf der Tasche, wenn er dauernd arbeitslos war. Wieder mussten wir hart kämpfen, um zum Zug zu kommen.
Ich ärgerte mich jedes Mal, wenn ich im Fernsehen hörte, wer vom Staat alles unterstützt wurde, Kinderschändern und Mördern wurden Therapien ermöglicht, aber einem Familienvater, der arbeiten wollte, wurde keine Umschulung finanziert.
In dieser Zeit lief noch ein letztes Verfahren um eine höhere Pflegestufe für Loreen vor Gericht. Diese hatten wir vor längerer Zeit beantragt, sie war jedoch von einer Gutachterin abgelehnt worden. Ich hatte den Eindruck, dass sie sich zu eilfertig, nur nach zwei Stunden in unserem Haus, ein Urteil über unser Leben erlaubt hatte.
Vielleicht stimmte auch die Chemie zwischen den Gutachtern und uns einfach nicht. Louise fragte mich nach dem Besuch der Dame, ob die Frau Krollmeier bald wiederkäme. Sie dachte wohl an die strenge Lehrerin von Heidi, Fräulein Rottenmeier.
Meinem Gefühl nach hatte das Ergebnis der Begutachtungen bereits im Vorfeld festgestanden. Auf meine Frage hin, warum die Gutachterin dieses oder jenes nicht notiere, warf sie ein, dass sie das im Büro erledigen würde. Ich ahnte bereits, dass uns eine Ablehnung ins Haus flattern würde. Man möge sich mal vorstellen, dass zum Beispiel ein gleichaltriges gesundes Kind ungefähr sechs- bis siebenmal am Tage gewickelt werden müsse oder dass es wie bei Loreen völlig normal sei, dass ein Kind im Alter von drei Jahren auf den Fußboden urinierte anstatt ins Töpfchen. Dass Loreen mit ihrem Stuhlgang spielte, wenn sie mit der Hand in die Windel fassen konnte, und als Sicherheitsausrüstung sozusagen einen Badeanzug tragen musste, das alles wurde runtergespielt. »Ein Neunjähriger würde auch noch ab und an ins Bett machen!«, sagte mir die Gutachterin. Es musste dann erst mal ein Gerichtsgutachter kommen, der die Pflege sicherstellen sollte. Dieser kam dann auch – ebenfalls für zwei Stunden -und schrieb ein ausführliches Protokoll. Bei der Ernährung wurde ordentlich Zeit abgezogen, da ich ja Louise
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