Glück muß man haben
freundliches Geschöpf, das an ihren Beinen herumschnupperte. Eine Promenadenmischung wie sie im Buche stand.
»Wo kommst du denn her?« fragte Marianne den. Hund.
»Ich denken, daß alter Mann oder Frau sein in Nähe«, sagte Wilhelm.
Draußen rief jemand: »Tosca, wo bist du?«
Die Hündin – soviel wußte man jetzt – scherte sich nicht um den Ruf.
»Tosca?« sagte Wilhelm, fragend zwischen dem Tier und Marianne hin und herblickend. »Tosca sein italienische Oper. Schöne Musik. Oder ich irren?«
»Nein«, lachte Marianne. »Tosca ist aber auch ein bekanntes Parfüm hier.«
»Parfüm?«
Die Umstände erlaubten Marianne einen informativen Anschauungsunterricht. Sie beugte ihre Kopfseite ganz nah hinüber zu Wilhelm, hielt ihm so ihre Ohr- und Halsgegend an die Nase und sagte: »Da, riechen Sie … das ist Tosca.«
»Guuut«, kam es aus Wilhelms Mund.
Draußen wiederholte sich der ängstliche Ruf: »Tosca, komm her! Wo bist du?«
Es war eine weibliche Stimme. Tosca schien ein freundliches Tier zu sein, aber kein gehorsames. Sie hatte begonnen, das Innere des Wartehäuschens rundherum zu untersuchen und ließ sich dabei nicht stören.
»Tosca!«
»Hier sein Tosca!« erwiderte Wilhelm den Ruf.
Danach herrschte Stille. Nichts mehr rührte sich. Wilhelm erhob sich und schaute aus dem Häuschen hinaus. Zehn Meter entfernt stand im Mondlicht regungslos eine alte Frau. Der Schreck schien sie gelähmt zu haben. Wilhelm machte einen Schritt auf sie zu, um sich ihr zu zeigen. Dadurch geriet Leben in die Greisin, jedoch nicht das Leben, das Wilhelm erwartete.
»Bitte, tun Sie mir nichts«, ertönte flehentlich ihre brüchige Stimme, »ich bin eine alte Frau, ich habe nichts bei mir.«
Wilhelm blieb stehen, er schwieg. Marianne tauchte aus dem Häuschen auf. Sie hatte gehört, was die Greisin gesagt hatte.
»Keine Angst«, ließ sie sich vernehmen, »wir tun Ihnen bestimmt nichts. Kommen Sie her, Ihr Hund ist da drinnen.« Sie zeigte mit dem Daumen hinter sich auf das Häuschen.
Weil Toscas Besitzerin sah, daß Marianne ein Mädchen war, stellte sich wieder ein bißchen Mut ein bei ihr. Ganz sicher fühlte sie sich aber noch nicht.
»Ich will Sie nicht stören, glauben Sie mir«, sagte sie. »Aber Tosca muß abends noch raus; was soll ich machen?«
»Natürlich muß Tosca abends noch raus«, pflichtete Marianne bei.
Wilhelm schwieg.
Zögernd kam die alte Frau näher, wobei sie sagte: »Und dann verschwindet sie mir oft und will nicht hören, wenn ich sie rufe.«
»Sie müssen sie an die Leine nehmen«, meinte Marianne.
»Das mag sie nicht.«
»Ja dann …«
Marianne sagte dies belustigt.
Wilhelm räusperte sich.
»Dadurch muß ich dann immer wieder Ängste ausstehen wie heute«, fuhr die alte Frau fort. Endlich wagte sie, nicht nur Marianne, sondern auch Wilhelm anzusehen. »Mein Mann ist schon drei Jahre tot, wissen Sie. Früher war das mit Tosca seine Aufgabe, wenn's schon dunkel war.«
»Warum Sie haben Angst?« fragte Wilhelm endlich.
»Warum?« Die Greisin blickte ihn an, als wenn er einen schlechten Witz gemacht hätte. »Angst muß man doch haben heutzutage!«
Tosca trat in Erscheinung. Sie war nicht mehr die Jüngste. Ihr abendlicher Bewegungsdrang schien sich erschöpft zu haben. Sie wollte nach Hause.
Gar nicht spaßhaft, sondern durchaus im Ernst sagte Wilhelm zu Toscas Besitzerin: »Ich wissen, wie können lösen Problem Sie mit Ihre Angst.«
Sie blickte ihn fragend an, sagte aber nichts.
»Kaufen große Hund«, riet er, »der schützen Sie.«
Sie schüttelte den Kopf.
»Und wer bezahlt mir das Futter? Von meiner Rente kann ich das nicht. Mich frißt mein kleiner Hund schon arm.«
Für die selbständige Tosca lautete der Kurs ›Richtung Heimat‹. Sie hatte sich schon wieder weiter entfernt, als es ihrer Eigentümerin lieb war.
»Vielen Dank«, sagte die Alte. »Entschuldigen Sie, daß ich erschrocken bin. Sie verstehen mich schon, warum – ja? Gute Nacht.«
Dann hastete sie auf ihren unsicheren Beinen davon, ihrem kleinen Hund nach, welcher der Trost ihres Alters war. Schweigend blickten Marianne und Wilhelm einander an und hörten die Stimme der alten Frau in der Nacht verklingen: »Tosca, laß dir doch Zeit, Tosca … Tosca …«
Die erste, die wieder etwas sagte, war Marianne.
»Schlimm.«
»Ja«, nickte Wilhelm.
»So kleine Renten dürfte es gar nicht geben.«
»Und auch Angst nicht«, sagte Wilhelm. »Auch Angst sein nicht gut.«
»Das Schlimmste, meine ich, ist
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