Glück muß man haben
Als Resultat sah sie sich dem Vorwurf ihrer Mutter ausgesetzt, das nicht schon früher gebeichtet zu haben. Während Sabine lamentierte, lief Theo zweimal um den großen Herd, der das Zentrum der Küche bildete, herum. Dabei stieß er unterdrückte Flüche aus.
Vor Marianne anhaltend, sagte er: »Weißt du, was das heißt?«
»Was?«
»Daß du vor Gericht wirst erscheinen müssen.«
»Vor Gericht?« entsetzte sich Sabine.
»Als Zeugin«, sagte Theo.
»Hoffentlich«, nickte Marianne.
»Das hoffst du auch noch?« grollte Theo.
»Jawohl«, erklärte Marianne mit Nachdruck. »Damit ich denen erzählen kann, wie das war. Sollten die mir keine Vorladung schicken, werde ich mich sogar selbst als Zeugin melden, merkt euch das!«
»Bist du verrückt?« riefen Theo und Sabine wie aus einem Munde.
»Nein!« rief Marianne noch lauter, lief plötzlich zur Tür, die ins Treppenhaus führte, und warf sie zu.
Theo und Sabine blickten ihr konsterniert nach. Erst nach sekundenlangem Schweigen sagte Theo in erbittertem Ton: »Das kann so nicht weitergehen mit der!« Er ballte dabei die Faust, um sie auf die Herdplatte zu schmettern, ließ aber davon ab, als ihm einfiel, daß im Herd ein Feuer brannte.
Marianne lief auf ihr Zimmer, stellte sich kurz vor den Spiegel, schlüpfte in einen Staubmantel und verließ das Haus. Ihr Ziel war das zuständige Polizeirevier, dessen Adresse ihr natürlich bekannt war. Sie erreichte es zu Fuß.
Den Weg hätte sie sich aber sparen können. Sie wollte sich irgendwie für Wilhelm verwenden, doch dafür lag auf dem Revier, wie ihr gesagt wurde, keinerlei Bedarf vor, heute jedenfalls noch nicht. Eins nach dem andern, hieß es. Man war nicht unfreundlich, aber absolut unergiebig. Ihren Schützling bekam sie gar nicht zu sehen. Der wurde in einem separaten Zimmer verarztet.
Auf dem Rückweg zur ›Sonnenblume‹ begegnete sie einer Schulfreundin, die sie schon seit Jahren nicht mehr gesehen hatte. Große Freude auf beiden Seiten. Die Freundin – sie hieß Anita – lebte jetzt in Bremen. Sie war einem jungen Mann dorthin gefolgt, den sie bei einem Trip nach Amsterdam kennengelernt hatte.
»Seid ihr verheiratet?« fragte Marianne.
»Spinnst du?« lautete die Antwort. »Wer heiratet denn heutzutage noch – außer Priestern? Wir hausen zusammen!«
Sie hausten zusammen, wie alle in dieser Zeit.
»Und was machst du?« fuhr Anita fort.
»Ich wohne noch bei meinen Eltern.«
Anita lachte.
»Das glaube ich! Marianne, das Musterkind! Immer gewesen!«
»Ach was.«
»Doch, doch.«
»Wie lange bleibst du?«
»In Gelsenkirchen?«
»Ja.«
»Bis morgen. Meine Mutter weint sich jetzt schon wieder die Augen aus. Ich kann dir gar nicht sagen, wie mir das auf die Nerven geht. Ich soll dieses Luderleben aufgeben, meint sie. Gerd – mein Scheich in Bremen – wird sich totlachen, wenn ich ihm das wieder sage: Luderleben.«
»Mach's gut, Anita. War nett, dich zu treffen. Ich muß weiter.«
»Schon? Ich dachte, wir könnten noch eine Tasse Kaffee zusammen trinken.«
»Nein, das geht nicht.«
»Wohin mußt du denn?«
»Zu meinem Freund.«
Sofort war Anitas Neugierde geweckt. Marianne hatte einen Freund.
»Erwartet er dich?«
»Nein.«
»Aber du willst doch zu ihm?«
»Ich muß zu seiner Wohnung.«
»Und wo ist er selbst?«
»Momentan?«
»Ja. Ist er verreist? Ich frage dich deshalb, weil wir dann anschließend doch noch gemeinsam eine Tasse Kaffee trinken könnten.«
»Nein, verreist ist er nicht.«
»Wo ist er dann?«
»Bei der Polizei«, sagte Marianne, die anscheinend der Teufel ritt.
»Ach«, meinte Anita etwas indigniert, denn sie unterlag natürlich dem Trend der jungen Leute, Antipathie gegen die Polizei zu empfinden. »Hat er Dienst?«
»Nein. Der gehört nicht zu denen. Es ist so, daß sie ihn geholt haben. Er wird vernommen.«
Anitas Einstellung änderte sich im Handumdrehen.
»Was?« sagte sie respektvoll. »Ist er links? Hat er demonstriert?«
»Nein.«
»Was dann?«
»Einen zusammengeschlagen.«
»Einen Bullen?«
»Nein, einen Kinobesucher.«
»Einen Kinobesucher? Nur so? Warum denn das?«
»Weil der mich beleidigt hat.«
Anita riß Augen und Mund auf.
»Weil der dich beleidigt hat? Das war der Grund?«
Marianne nickte.
»Mensch«, staunte Anita, »das muß ich Gerd erzählen. Der wird das nicht fassen können – einen deshalb zusammenschlagen! Sicher, wenn der Betreffende ein Bulle gewesen wäre, dann ja. Aber so?«
»Dein Gerd denkt da anders,
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